Alternative Gesellschaftsmodelle müssen her
Die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen ist alles andere als weltfremd, betont der Journalist Francisco J. Gonçalves in der Tageszeitung Correio da Manhã:
„Ein bedingungsloses Grundeinkommen mag zwar in unserer heutigen Welt eine utopische Idee sein, aber bestimmt keine dumme. Prognosen besagen, dass in den nächsten fünf Jahren fünf Millionen Arbeitsplätze in den entwickelten Ländern verloren gehen werden. Deshalb wäre es dumm, nicht nach alternativen Gesellschaftsmodellen für eine Welt zu suchen, in der es für die meisten bald keine Beschäftigung mehr geben wird. Und genau an diesem Punkt gewinnt die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen an Relevanz.“
EU-Abkommen standen Initiative im Weg
Das Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens ist richtig, meint der Kolumnist Gwynne Dyer in der Tageszeitung Cyprus Mail und erklärt, warum die Schweizer es dennoch ablehnten:
„Das Kernprinzip ist, dass jeder ein garantiertes Einkommen erhält, das zum Leben reicht, ob man arm oder reich ist, erwerbstätig oder nicht. Man kann so auch viel mehr verdienen, als man will, wenn man eine Arbeit findet, doch die Grundbedürfnisse sind auf jeden Fall gedeckt. ... Rund die Hälfte der traditionellen Vollzeit-Arbeitsplätze in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften wird durch die Automatisierung in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren wegfallen. Also ist dies eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Warum haben die Schweizer sie dennoch mit einer 4:1-Mehrheit abgelehnt? Vor allem, weil ihr Abkommen mit der Europäischen Union bedeutet, dass sie relativ offene Grenzen haben.“
Wahnsinns-Idee wurde zum Glück gestoppt
Dass fast 80 Prozent der Wähler nicht der Verlockung einer Grundsicherung in Höhe von 2.500 Franken erlagen, spricht nach Ansicht der Tageszeitung Sme für den Verstand der Schweizer:
„Eine Verfassungsmehrheit lehnte das utopistisch-ideologische Konzept 'Geld für nichts' ab. Denn dieses ist nicht nur fiskalisch nicht umsetzbar, sondern unterhöhlt zudem die Arbeit als einen so wertvollen Pfeiler der Gesellschaft. Ebenso lehnten die Schweizer auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise ein schärferes Ausländergesetz ab und früher schon eine Verlängerung des bezahlten Urlaubs. Wie wären diese Abstimmungen wohl in der Slowakei ausgegangen? ... Das Grundeinkommen ist nur ein weiterer Versuch der neomarxistischen Linken, eine gesellschaftliche Revolution herbeizuführen.“
Junge Generation braucht keine Utopien
Zum Glück konnten sich die Befürworter des Grundeinkommens nicht durchsetzen, ist Le Temps erleichtert:
„Selbstverständlich muss das soziale Netz reformiert werden, aber nicht auf diese Weise. Und nicht durch eine Maßnahme, deren Kosten niemand abschätzen kann. Eine zentrale Frage aus der Debatte dieses Frühjahrs bleibt weiterhin zu beantworten: Wenn Arbeit immer weniger lukrativ wird, dann ist es nicht lächerlich, sich zu fragen, was den Wert eines Bürgers in einer Gesellschaft ausmacht. Eigentlich sollten die Parteien als Ideenmaschinen fungieren, doch bei dieser Fragestellung sehen sie alt aus. Zur großen Verzweiflung der Jüngsten haben sie nicht viel Neues zu bieten. Die Generation Y glaubt tatsächlich stärker an ein bedingungsloses Grundeinkommen als die anderen - und das aus gutem Grund. Sie ist die erste Generation, die weniger als ihre Eltern verdienen wird. Die Millenials wünschen sich keine neue Utopie herbei, sondern konkrete Vorschläge.“
Das hätten auch die Bulgaren abgelehnt
Auch die Bulgaren würden ein bedingungsloses Grundeinkommen ablehnen, weil sie genau so verantwortungsbewusst sind wie die Schweizer Bürger, meint die Tageszeitung 24 Chasa:
„Die Schweizer haben ein lebenslanges bedingungsloses Grundeinkommen abgelehnt, weil sie fürchten, dass sie dadurch ihrer Wirtschaft schaden würden. Aus demselben Grund haben sie vor vier Jahren gegen eine Verlängerung ihres Jahresurlaubs von vier auf sechs Wochen gestimmt. Ein verantwortungsbewusstes Volk kann von der Regierung zu absolut allem befragt werden und es wird immer die richtige Entscheidung treffen. Warum haben die bulgarischen Politiker also so große Angst vor Referenden? Wenn sie heute die Bulgaren fragen würden, ob jeder 2.450 Dollar im Monat erhalten soll (wenn überhaupt klar wird, woher das Geld kommen soll), wäre das Ergebnis dem in der Schweiz mit Sicherheit sehr ähnlich. Denn die Wähler - egal ob Schweizer oder Bulgaren - wissen am besten, was geht und was nicht geht.“
Der Mensch kann nicht ohne Arbeit
Auch die Tageszeitung Sydsvenskan kann der Idee vom bedingungslosen Grundeinkommen wenig abgewinnen:
„Manch einer denkt, mit dem Grundeinkommen verschwände das Stigma, das mit dem Bezug von Sozialhilfe verbunden ist - aber das ist keineswegs sicher. ... Man könnte sagen, dass es in Schweden und anderen Wohlfahrtsstaaten in Gestalt der Sozialhilfe ja bereits ein Grundeinkommen gibt. Mit den romantischen Träumen [der Befürworter] hat das aber wenig zu tun. Über längere Zeit von Sozialhilfe zu leben, ist kaum beneidenswert; oft ist es ein eingeschränktes und in jeder Hinsicht ärmliches Dasein. Der Begriff des Grundeinkommens kann auch eine verschönernde Umschreibung dafür sein, kühl all jene abzuschreiben, die vermeintlich nichts taugen, die nicht produktiv genug sind. Die meisten Menschen brauchen die Struktur, die Arbeit gibt, und schätzen das Gefühl, gebraucht zu sein und teilzuhaben. Das Leben besteht nicht nur aus Arbeit, aber ein Leben ohne Arbeit kann sehr dürftig sein.“
Arbeit und Einkommen gehören entkoppelt
Die Entkopplung von Arbeit und Einkommen, wie sie das bedingungslose Grundeinkommen vorsieht, wird irgendwann nötig werden, erklärt hingegen die Berliner Zeitung:
„Noch geht die Politik davon aus, dass dieses Missverhältnis [zwischen Rationalisierung, Lohnschwäche, gedämpfter Nachfrage und einem Überhang an anlagesuchendem Kapital] gelöst werden kann durch 'Strukturreformen' und ewiges Wachstum, das gut bezahlte Jobs generiert. Was aber, wenn das nicht funktioniert? Oder wenn es ökonomisch funktioniert, ökologisch aber in die Katastrophe führt? ... Die Debatte um die Entkopplung von Arbeit und Einkommen bleibt. Denn sie stellt die richtige Frage: Wie sinnvoll ist ein Prinzip, das erstens den Druck auf die Beschäftigten permanent erhöht, das zweitens Millionen Menschen zur Arbeit zwingt, die die Wirtschaft gar nicht braucht, während drittens viele gesellschaftlich wichtige Arbeiten extrem schlecht bezahlt werden oder unerledigt bleiben, weil sie keine Rendite abwerfen?“
Karl Marx hatte Recht
Erstaunt, dass die Idee eines Grundeinkommens im Westen bemerkenswerten Zulauf erhält, zeigt sich die konservative Lidové noviny:
„Die Utopie der Kommunisten, jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen, hat Anziehungskraft. Nicht die Kommunisten gehen damit hausieren, sondern rationale, gebildete Menschen, die einen Trend fürchten: Der Anteil der gesetzlichen Ausgaben, Beiträge und Leistungen am Haushalt des Sozialstaats wird immer größer. Ist es da nicht vorteilhafter, den Menschen eine pauschale Absicherung zu zahlen? ... Dass der Gedanke im Westen diskutiert wird, gibt Marx Recht, der vor 170 Jahren davon ausging, dass sich der Kommunismus in den höchstentwickelten Ländern durchsetzen werde. Dass der Kommunismus im rückständigen Russland siegte, war eine falsche Weichenstellung der Geschichte. Jetzt könnte Marx schreiben: Das Gespenst des Kommunismus geht in den reichen Sozialstaaten des Westens um.“