Was sind die Risiken des Lockdowns?
Im Kampf gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie haben viele Länder den Notstand ausgerufen und Ausgangssperren verhängt. So dürfen beispielsweise die Bürger in Italien, Spanien, Frankreich, Belgien und Dänemark nur noch für dringliche Anliegen aus dem Haus.
Leben nicht um jeden Preis retten
Zwei ehemalige führende tschechische Banker, Zdeněk Tůma und Mojmír Hampl, fordern in Hospodářské noviny dazu auf, auch an die Zeit nach der Pandemie zu denken:
„Wir haben den Eindruck, dass sich die energischen Maßnahmen der Regierung häufig ausschließlich auf die Gesundheit konzentrieren und die sozioökonomischen Folgen nicht ausreichend berücksichtigen. Die Epidemie wird längst vorbei sein, aber die ganze entwickelte Welt wird lange brauchen, um sich von diesem wirtschaftlichen Harakiri zu erholen. Wir haben erhebliche Zweifel daran, dass die Risiken des Coronavirus tatsächlich so groß sind, dass sie es rechtfertigen, ohne Diskussion und zeitliche Einschränkungen einzugreifen und solche Mittel anzuwenden. Ja, die Menschen erwarten von der Regierung Sicherheit und Schutz des Lebens. Aber sicher nicht um jeden Preis.“
Radikale Maßnahmen nicht immer die besseren
In den Niederlanden greifen Rechtspopulisten die Regierung an, weil sie keinen totalen Lockdown anordnet. Dessen Effektivität ist aber nicht belegt, mahnt De Volkskrant:
„Kurzfristig könnte ein Lockdown möglicherweise etwas bewirken, aber er würde heftigere Corona-Ausbrüche langfristig nicht verhindern. Weder die erwartete Zunahme der Corona-Todesfälle in den Niederlanden noch die Tatsache, dass andere europäische Länder ein strengeres - aber ebenso wenig überprüftes - Regime anordnen, sind Gründe für eine Kursveränderung. ... Natürlich ist es denkbar, dass die Regierung in einer unvorhersehbaren Krise wie dieser ihr Vorgehen ändert, aber das muss auf neuen Erkenntnissen der Experten beruhen, und nicht auf der vagen Annahme, dass radikalere Eingriffe im Prinzip die besseren sind.“
Langeweile und Angst sind eine explosive Mischung
Ein monatelanger Lockdown wird nur schwer durchzuhalten sein, fürchtet The Irish Times:
„Eine Studie des Imperial College in London zeigt klar: Bis ein Impfstoff gegen das Virus entwickelt worden ist, muss mindestens für zwei Drittel der Zeit die 'soziale Distanzierung' regieren. Bis wir einen Impfstoff haben, werden noch 18 Monate vergehen. Während dieser Zeit besteht das Risiko, dass sich Unmut breit macht. Im Moment sind wir verängstigt und dankbar für eine starke und stabile Führung. Doch irgendwann werden Ermüdung und Verärgerung einsetzen. Menschen, die gelangweilt und ängstlich sind, sind anfällig für Stimmen, die andere, ansprechendere Szenarien und Lösungen anbieten - oder für diejenigen, die sagen, dass es einen anderen Weg gegeben hätte. Am Ende der Straße droht eine völlig neue tiefe Krise der Demokratie.“
Politiker entziehen sich der Verantwortung
Die ganze Last wird auf die Bürger abgewälzt, klagt Politologin Nadia Urbinati in HuffPost Italia:
„Man gibt uns zu verstehen, dass die gesamte Verantwortung bei den Bürgern liegt. Und wo liegt die Verantwortung der Institutionen, die heute damit drohen, noch 'strengere' Maßnahmen zu ergreifen? Gibt es einen Gedächtnisschwund bezüglich der Entscheidungen der jüngsten Vergangenheit - mit denen das öffentliche Gesundheitswesen mit Füßen getreten und geschwächt wurde? ... Die Entscheidungen der Regierungen, auf nationaler und regionaler Ebene, müssen bei der Zuweisung der Verantwortung berücksichtigt werden. Aber wir haben noch kein Wort der Selbstkritik gehört.“
Ein Tabu nach dem anderen wird gebrochen
Ein ungutes Gefühl angesichts der drastischen Maßnahmen zur Stillegung des öffentlichen Lebens hat auch Historiker René Schlott. Er schreibt in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung:
„Wenn man es nicht besser wüsste, ließe sich das Procedere der letzten Tage wie das Drehbuch einer rechtspopulistischen Machtübernahme lesen. Aber wo die Maßnahmen einmal in der Welt sind, das Exempel statuiert ist, wer will dann ausschließen, dass dieselben Einschränkungen der Grundrechte einmal im Namen einer anderen vermeintlichen Notsituation wieder aktiviert werden? … Die Schließung der Grenze zu Österreich, unter anderem mit der Begründung, 'Hamsterkäufe' aus dem Nachbarland zu verhindern, ist ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die bis vor wenigen Tagen die Politik der offenen Grenzen verteidigt haben. Das Grundrecht auf Asyl wird obsolet gemacht. Der humanitäre Dammbruch ist da.“