Führungswechsel bei Labour
Brexit-Gegner Keir Starmer ist neuer Chef der Labour-Partei und somit Oppositionsführer in Großbritannien. Unter seinem Vorgänger Jeremy Corbyn hatte die Partei bei der Parlamentswahl im Dezember eine historische Niederlage erlitten. Sind die Karten mit einem pragmatischeren Anführer und in Zeiten der Coronakrise neu gemischt?
Neuer Chef Starmer hat gute Chancen
Der pragmatische Politikstil des neuen Labour-Chefs könnte der Partei wieder Mehrheiten verschaffen, glaubt die Neue Zürcher Zeitung:
„Auf das desolate Ende der fast fünfjährigen Parteiführung unter dem linken Aussenseiter Corbyn und seinen Gesinnungsgenossen folgt nun ein ausgesprochener Pragmatiker. Der Kontrast zu Starmers Vorgänger könnte vom Habitus, vom Temperament und von der Laufbahn her gesehen kaum stärker sein. Das Motiv seiner Unterstützer muss man nicht lange suchen: Starmer wird am ehesten zugetraut, gegenüber Boris Johnson eine glaubwürdige Regierungsalternative präsentieren zu können. Der Premierminister dürfte bei der direkten Konfrontation im Parlament gegen Starmer einen schwereren Stand haben als gegen den Dogmatiker Corbyn.“
Linke Gesundheitspolitik ist wieder gefragt
Die Opposition hat nun einen möglicherweise entscheidenden Vorteil, glaubt El País:
„Der neue Labour-Chef steht vor der großen Aufgabe, die Gunst der Wählerschaft wiederzugewinnen, die den radikal-konservativen Positionen von Boris Johnson und seiner Brexit-Strategie im vergangenen Dezember einen bedeutenden Sieg verschaffte. Aber der Brexit wurde nun von einer Notlage in den Schatten gestellt, die die Dringlichkeit öffentlicher Investitionen - zum Beispiel im Gesundheitsbereich - verdeutlicht. Und das sind traditionelle Labour-Forderungen. Auch wenn viele Wähler die von Corbyn vorgetragenen Forderungen von Veränderung und sozialer Investition als zu extrem abgestempelt hatten, unter den neuen Bedingungen mögen sie ihnen notwendig erscheinen.“
Leider kein Tony-Blair-Typ
Mit dem neuen Chef wird Labour nicht zu einem gemäßigten Kurs zurückfinden, bedauert hingegen The Daily Telegraph:
„Niemand kann aus seiner Haut heraus, und eines ist klar: Keir Starmers Erfolg ist ein großer Triumph für den linken Flügel der Partei. Er ist vielleicht nicht so radikal wie Jeremy Corbyn - das schafft kaum jemand -, doch er ist ein weiterer linker Londoner und im Gegensatz zu seinem Vorgänger ein überzeugter Anhänger der britischen EU-Mitgliedschaft. Ohne Zweifel wird Starmer die Coronakrise zum Anlass nehmen, um zu fordern, dass Großbritannien den Brexit rückgängig macht. Er blieb beim Formulieren seiner politischen Absichten bewusst vage, deutete aber in keiner Weise an, ein Mann der Mitte mit grundlegenden Reformplänen nach dem Vorbild Tony Blairs zu sein. Genau so einen bräuchte die Partei.“