Wird Wedomosti zum Kreml-Blatt?
In Russland hat der Besitzer der Wirtschaftszeitung Wedomosti gewechselt. Trotz Beteuerungen, die Unabhängigkeit der Zeitung zu wahren, hat der neue Chefredakteur Andrej Schmarow innerhalb weniger Wochen die Redaktion gegen sich aufgebracht: Er verbot die Veröffentlichung von Daten des unabhängigen Demoskopie-Instituts Lewada und veränderte oder strich Texte über den Kreml-nahen Ölkonzern Rosneft.
Unsere Zeitung verliert ihren Sinn und Zweck
Nowaja Gaseta veröffentlicht einen offenen Brief des Redaktionskollegiums von Wedomosti:
„Wenn Wedomosti seine Reputation verliert, wird es zu einem weiteren abhängigen und lenkbaren Medium, dessen Ziel nicht mehr die Erfüllung des Bedarfs der Leser an überprüften Nachrichten und qualitativ hochwertigen Analysen ist, sondern die Umsetzung von Interessen und Ambitionen der offiziellen und verdeckten Inhaber. Solche Medien gibt es in Russland schon genug. Das wäre ein Medium mit dem vorherigen Firmenschild und Titel, aber prinzipiell anderem Gehalt. Wenn der neue Aufsichtsrat dies versteht, sollte er andere Kandidaturen für den Chefredakteursposten erwägen.“
Niemand braucht ein weiteres Regierungs-Sprachrohr
Kommentator Anton Orech von Echo Moskwy sieht den Kreml als Strippenzieher des Geschehens:
„Bis vor kurzem war dieses Blatt eines der wenigen mehr oder weniger qualitativen Printmedien, das noch Autorität beim anständigen Publikum genoss. Genau deshalb wurde diese Vergewaltigung eingefädelt. Nach allem, was jetzt in der Redaktion passiert, kann Wedomosti weder eine gute noch eine geachtete Zeitung bleiben. Denn entweder veröffentlicht ihr alle objektiven und unabhängigen Standpunkte oder ihr legt eine schwarze Liste an und druckt nur, was der [Kreml-]Verwaltung gefällt. Aber dann seid ihr kein geachtetes Medium mehr. Die Leute, die euch bisher lesen, werden damit aufhören. Wedomosti verliert so sein altes Auditorium, gewinnt aber kein neues.“