Belarus: Tichanowskaja im litauischen Exil
Die belarusische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja ist am gestrigen Mittwoch nach Litauen ausgereist. Kurz zuvor hatte sie bei der Wahlkommission in Minsk Beschwerde gegen das offizielle Wahlergebnis einlegen wollen und wurde dort sieben Stunden lang festgehalten. Kommentatoren erörtern, was das für die Oppositionsbewegung in Belarus bedeutet und fordern eine klare Positionierung Europas.
Symbol für die Niedertracht des Regimes
Die stockend vorgelesene Video-Botschaft, mit der Tichanowskaja zum Ende der Proteste aufruft, könnte sogar das Gegenteil bewirken, vermutet die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Womit hat das Regime von Alexander Lukaschenko die Mutter zweier Kinder, deren Mann seit Ende Mai in Haft ist und aus deren engster Umgebung in den vergangenen Tagen mehrere Personen festgenommen wurden, unter Druck gesetzt? Tichanowskaja konnte zu einem Symbol des Protests werden, weil sie in einem so ist wie die Mehrheit der Belarusen: Sie hatte bis zu diesem Sommer nichts mit Politik zu tun, sondern versuchte nur, ein normales Leben zu leben. Der Versuch, sie zu brechen, ist deshalb ein Angriff auf die Selbstachtung derer, die ihr auf den Kundgebungen vor der Wahl zugejubelt haben. Die Videos sind ein für jeden verständliches Symbol der Niedertracht dieses Regimes.“
Der Westen sollte aus seiner Apathie erwachen
Radio Kommersant FM plädiert trotz ihres Rückzugs für offizielle Gespräche mit Tichanowskaja:
„Was Tichanowskaja auch sagt oder wozu sie auch auffordert, den Protest wird das nicht beenden. Eher umgekehrt, er wird nur radikaler werden, denn es gibt keinen Ansprechpartner mehr. … Swetlana ist faktisch Präsidentin im Exil. Der demokratische Westen könnte aus seiner Apathie erwachen, seine an Feigheit grenzende Unentschlossenheit überwinden und, wenn er sie schon nicht anerkennt, zumindest in einen Dialog mit ihr treten. Manche sagen, das wird Sergej Tichanowski schaden, der als Geisel in Belarus im Gefängnis sitzt. Dem kann man entgegnen: Wenn der Westen Alarm schlägt, ist das eine Garantie, dass man Sergej nichts antut.“
Ein Beitrag im Kampf für die Freiheit
Politikwissenschaftler Mažvydas Jastramskis lobt auf Delfi Litauens Haltung:
„Dass Tichanowskaja, die wahre Gewinnerin der Präsidentschaftswahl, in Litauen politisches Asyl bekam, zeigt, dass sich unser Land in die richtige Richtung entwickelt. Es ist ein Signal, dass Litauen die gefälschten Wahlergebnisse nicht anerkennt, und eine Geste der Unterstützung für die Protestierenden in Belarus, weil man dem echten Wahlgewinner eine Plattform bietet. Mal sehen, ob diese Chance genutzt wird. Der Westen muss nun Vieles bedenken. … Die Freiheit auf der Welt erodiert zwar langsam, aber dass sie erodiert, ist offensichtlich.“
Russisches Roulette für litauische Unternehmen
Mehrere litauische Unternehmen haben wirtschaftliche Interessen in Belarus. Für sie ist die aktuelle Situation alles andere als einfach, erklärt Verslo žinios:
„Die Erfahrung zeigt, dass politische Gründe manchmal eine Korrektur von Verträgen und Beziehungen erzwingen. Wenn sich die Unruhen im Nachbarland ausweiten, wird sogar die in der Wirtschaft übliche 'take or pay'-Regel [mit einer von der tatsächlichen Gegenleistung unabhängigen Zahlungsverpflichtung] kaum helfen. ... Es ist offensichtlich und ein Lichtblick, dass das Väterchen seine Macht verliert und das Volk bereit ist für Veränderungen und neue Politiker. ... Doch bis tatsächlich andere Zeiten kommen, spielt das litauische Business, wie es aussieht, in Belarus russisches Roulette.“