Die EU im Wettlauf um den Covid-Impfstoff
Die EU-Kommission will sich 80 Millionen Dosen des potenziellen Corona-Impfstoffs des US-Unternehmens Moderna sichern. Der Wirkstoff ist einer von acht, die bereits in der klinischen Erprobungsphase sind. Von weiteren Unternehmen hatte die Kommission sich bereits zuvor Millionen Impfeinheiten gesichert. Wohin führt der Wettlauf um den Impfstoff?
Kommission schlägt guten Kurs ein
Dass die EU hier an einem Strang zieht, freut Le Monde:
„Die Kommission hat im Namen der EU-27 mit fünf Pharmaunternehmen Vereinbarungen getroffen, um sicherzustellen, dass alle EU-Länder schnell und in ausreichenden Mengen beliefert werden können, sobald ein Impfstoff als wirksam erachtet wird. ... Da sich mehrere dieser Impfstoffe in Phase III der klinischen Studien befinden, der letzten vor der Vermarktung, könnte das in den kommenden Monaten Realität werden. Der europäische Ansatz ist einheitlich, klüger und verfahrenssicherer. Ein zügelloser Wettlauf um einen Impfstoff kann dem Land, das ihn gewinnt, sicherlich eine gewisse politische Zufriedenheit bringen. Der Vorteil wird jedoch nur von kurzer Dauer sein, wenn er durch überstürztes Handeln auf Kosten der Gesundheit der Bürger erreicht wurde.“
Sicherheit darf nicht zum Maßstab für alles werden
Im Kampf gegen Covid sollten die Regeln nicht zu streng befolgt werden, meint Der Standard:
„[A]uch die Behörden in Europa [sollten] an die Zulassung einer Corona-Impfung etwas forscher als üblich herangehen und neben der Sicherheit auch den dringenden Bedarf bedenken, vor allem für kritische Gruppen wie dem Gesundheitspersonal. Ab wann ein Mittel tatsächlich breit eingesetzt werden darf, ist stets auch eine Abwägungsfrage. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nie. Letztlich wird das Rennen um eine Impfung weniger bei der Entwicklung oder Zulassung entschieden als bei der Produktion. Sobald ein Wirkstoff bewilligt ist, müssten in kurzer Zeit Milliarden von Dosen hergestellt und verteilt werden. Das geht nur, wenn die passenden Produktionsstätten bereit stehen.“
Verfrühte Zulassung würde Impfskepsis nähren
Die breite Masse wird sich nur dann impfen lassen, wenn sie sich sicher fühlt, warnt hingegen Financial Times:
„Massenimpfungen haben in den allermeisten Fällen mehr genützt als geschadet. Doch es gab Fälle, in denen Impfstoffe gegen Krankheiten wie Polio und die Schweinegrippe überstürzt zugelassen wurden - und später zeigten sich dann schädliche Nebenwirkungen. Weil bestimmte Gruppen im Internet mit Desinformation verunsichern, wird es Zeit und viel Bemühen brauchen, diejenigen zu überzeugen, die derzeit unentschlossen sind. Sogar diejenigen, die jetzt bereit wären, sich impfen zu lassen, könnten ihre Meinung ändern, wenn hochrangige Vertreter der US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel (FDA) aus Protest gegen eine verfrühte Zulassung eines Impfstoffs zurücktreten. Damit hat etwa der Direktor des FDA-Zentrums für die Bewertung und Erforschung biologischer Produkte, Peter Marks, gedroht.“
Reifeprüfung für die Gesellschaft
Auch wenn die Rettung durch den Impfstoff absehbar ist, müssen wir uns weiter verantwortungsvoll zeigen, mahnt Novi list:
„In welcher Verfasstheit unsere Gesellschaften sind, wenn der Impfstoff da ist, wird viel über unsere Gesellschaften aussagen. Es wird zum Maßstab für unseren Grad der Zivilisierung und der Fähigkeit, durch unser Verhalten nicht andere in Gefahr zu bringen. … All das entscheidet sich vor Ort. Im Geschäft, der Tram, im Bus, Café und Nachtclub. ... Es ist eine Art soziologisches Experiment. Es wird die Qualität verschiedener Gesellschaften enttarnen. Ihr Niveau an Verantwortung, gegenseitigem Vertrauen und Solidarität.“