Zerreißprobe: Orbán will Corona-Hilfen blockieren
Viele Staaten warten angesichts ihrer dramatischen Lage auf Zahlungen aus dem Corona-Hilfsfonds der EU, auf den sich - zusammen mit dem Haushalt - Parlament und Mitgliedsstaaten am Dienstag verständigten. Orbán droht weiter, wegen des Rechtsstaatsmechanismus ein Veto einzulegen. Aus Warschau kam vergangene Woche die gleiche Drohung, seitdem hört man von dort nichts mehr. Wie schlagkräftig sind die Kampfansagen?
Dieser Kampf muss ausgefochten werden
Dass der ungarische Premier mit seiner Veto-Drohung blufft, glaubt tagesschau.de:
„Wenn Viktor Orbán den europäischen Haushalt und die Corona-Hilfen blockiert, dann schadet er sich nämlich in erster Linie selbst. Und zwar erheblich. Denn Ungarn ist auf die Fördermittel aus Brüssel mindestens so dringend angewiesen wie Spanien oder Italien, wo die Corona-Pandemie besonders heftig wütet. Orbáns politische Freunde in Warschau halten sich übrigens auffällig bedeckt. ... Wie es aussieht, steht Ungarn gerade ziemlich allein da. Für die anstehenden Verhandlungen unter Federführung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft kann das ein guter Hebel sein. ... Dass es der ungarische Regierungschef mit seiner Blockadedrohung ernst meint, ist zwar wenig wahrscheinlich. Aber selbst, wenn er nicht bluffen sollte - dieser Kampf ist es wert, endlich ausgefochten zu werden.“
Kaczyńskis Waterloo
Warum sich der PiS-Chef in Polen derzeit zurückhält, erklärt Piotr Buras vom Thinktank European Council on Foreign Relations in Gazeta Wyborcza:
„Kann Jarosław Kaczyńskis Aufstand letztendlich etwas bringen? Vielleicht eine rechtlich bedeutungslose Erklärung des Europäischen Rats oder der Kommission, in der die Ziele des Mechanismus zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit so erläutert werden, dass Warschau sie schlucken und der öffentlich-rechtliche Sender TVP einen Erfolg verkünden kann. … Die Erpressung wird jedoch nicht so schnell vergessen werden. Auch nicht in der internen Opposition der Regierung, die gerne auf Kaczyńskis Ende hinweist. Alles deutet darauf hin, dass sich der PiS-Führer in einer Einbahnstraße befindet. Welche Entscheidung er auch trifft, sie wird ihn dem politischen Waterloo näherbringen.“
Drohung ohne Substanz
Népszava zeigt sich nicht beeindruckt von der Kampfansage:
„Die Vetodrohung der ungarischen und polnischen Regierung nimmt man in der EU nicht besonders ernst, da die Wirtschaft beider Länder jeden einzelnen Cent braucht, um am Leben zu bleiben. Dies ist auch eine Voraussetzung dafür, kommende Wahlen zu gewinnen. ... Wenn aber der ungarische Regierungschef den Kopf wirklich verlieren und einen offenen Krieg mit der EU anfangen sollte, wird er allein dastehen. Er wird die Länder, die von der Covid-Krise hart getroffen worden sind und auf das Geld warten, nicht überzeugen können.“
Partner müssen Druck machen
La Vanguardia wünscht sich eine Lösung auf dem Verhandlungsweg:
„Das liegt im Interesse aller. Auch dem von Ungarn, das diese Hilfen gut gebrauchen kann. Es ist an der Zeit, dass die EU ihr Verhandlungsgeschick einsetzt, um Ungarn zu überzeugen, die Blockade für die Hilfen aufzulösen und gleichzeitig Polen (und anderen osteuropäischen Ländern, die versucht sein könnten, den gleichen Weg einzuschlagen) klarzumachen, dass diese Option keinerlei Vorteile bringt. ... Und die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) sollte den zwölf Fidesz-Abgeordneten beibringen, dass sie in der Gruppe nur Platz haben, wenn sie auch ihre Ideale teilen.“
EU hat endlich einen Hebel gefunden
Was den Rechtsstaatsmechanismus besonders macht, erläutert der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Giuliano Pisapia in Corriere della Sera:
„Der 'Kompromiss' zwischen den europäischen Institutionen sieht nun vor, dass die Mitgliedsstaaten die Meinungsfreiheit, die Autonomie und Unabhängigkeit der Justiz garantieren müssen. ... Maßnahmen können auch dann ergriffen werden, wenn nur der Verdacht der Nichteinhaltung der Rechtsstaatlichkeit besteht. Sobald ein Verstoß von der EU-Kommission überprüft worden ist, entscheidet der Rat innerhalb eines Monats mit qualifizierter Mehrheit. Dies ist ein weiterer wichtiger Schritt nach vorn, denn für diese spezielle und wichtige Entscheidung ist keine Einstimmigkeit erforderlich - ein echtes Übel der anderen kontinentalen Entscheidungsverfahren.“