Was bedeutet der Sturm auf das Kapitol?
Teile des US-Kabinetts beraten laut Medien darüber, Trump abzusetzen. Zuvor hatten seine Anhänger das Kapitol in Washington gestürmt, in dem die formale Bestätigung des Wahlsiegs Joe Bidens stattfinden sollte. Erst nach vier Stunden eskortierten Einsatzkräfte die Demonstranten aus dem Gebäude. Für Kommentatoren war dies ein äußerst denkwürdiger Tag.
Ein strategischer Lügner - wie Hitler
Donald Trump hat für seine Strategie der großen Lüge ein historisches Vorbild, mahnt Kolumnist Bill Emmott in La Stampa:
„In der Neuzeit war es Adolf Hitler, der diese Taktik mit größtem Erfolg aufgegriffen hat. In seinem berüchtigten Buch 'Mein Kampf' erklärte er, dass große Lügen viel mächtiger sein können als kleine, weil die Menschen sich nicht vorstellen können, dass man so kolossale Unwahrheiten erfinden kann. ... Vor allem, wenn sie von denjenigen vertreten werden, die sich in einer Position der Macht und Glaubwürdigkeit befinden. Genau das trifft auf Trump in den Vereinigten Staaten von Amerika zu. Das Narrativ der 'gestohlenen' Wahl im November ist exakt diese Art von großer Lüge. ... Und genau wie Hitler hat Trump seine große Lüge noch mächtiger gemacht, indem er die Behauptungen und Kritiken seiner Gegner als Lügen abstempelte.“
Versuchter Putsch
Kurz vor seinem Abgang hat Trump dem Fass den Boden ausgeschlagen, meint Večernji list:
„Es gibt viele Worte, mit denen man beschreiben könnte, was gestern in Washington passiert ist, aber man muss klar sagen: es handelt sich um einen versuchten Staatsstreich, inspiriert und unterstützt durch das Benehmen des amerikanischen Präsidenten selbst. ... Trump ist ein gefährlicher Präsident, das war von Anfang an klar. Aber der gestrige Tag hat diese Tatsache auf ein neues Level gehoben. ... Die amerikanische Demokratie ist stärker als Trump, das kann man leicht sagen, doch ist es verstörend zu sehen, wie Trumps Benehmen die Unabhängigkeit vieler Institutionen zerstört hat, auch den Verstand der Republikanischen Partei, die sich wie eine Geisel in den Händen eines Geiselnehmers benahm.“
Feuerwerk der Eitelkeiten
Für Sme steckt hinter den Ereignissen das Geltungsbedürfnis des Noch-Präsidenten:
„Seine Wähler sollen sich an das Bild der wütenden Masse erinnern, die das Kapitol angreift - und nicht an den besiegten Trump, der gehorsam aus dem Weißen Haus auszieht. Es ist ihm egal, wie sehr er den demokratischen Prozess der Bestätigung von Bidens Wahlsieg stört. Er will die letzten Tropfen der Aufmerksamkeit für sich selbst beanspruchen. ... Er sitzt in seinem Sessel und applaudiert dem Feuerwerk seiner Eitelkeit. Dies ist auch für andere Länder eine ernsthafte Warnung: Populisten mit Persönlichkeitsstörungen machen mit ihrer Willkür auch vor fortgeschrittenen Demokratien nicht halt. Sie folgen keinen demokratischen Mustern, sie simulieren sie höchstens.“
Dafür muss Trump büßen
Nun ist endgültig der Punkt erreicht, an dem der noch amtierende US-Präsident zur Rechenschaft gezogen werden muss, findet die Süddeutsche Zeitung:
„Er verhöhnt die USA, er zerstört die Demokratie, er ruft zum Coup auf. In jeder anderen Demokratie der Welt würde das als versuchter Staatsstreich gewertet. Trump muss dafür büßen. ... Wenn es einen positiven Aspekt des Parlamentssturms gibt, dann diesen: Wer jetzt noch den Trump'schen Irrsinn mitmacht, der wird mit dem Präsidenten untergehen. Die Demonstranten haben insofern nicht nur die Abgeordneten verjagt, sie haben auch Trump aus dem Weißen Haus getrieben. Er hat mit diesem Tag seine Amtszeit beendet. Man sollte ihn in Handschellen hinausführen.“
Selbst die beste Demokratie ist fragil
Trump hat die Demokratie der USA einer weiteren Belastungsprobe ausgesetzt, schreibt die Kleine Zeitung:
„Sein Verhalten zeigt, dass selbst die beste Verfassung, die erfahrensten Gesetzgeber, die bestgelebteste demokratische Tradition fragil ist und Lücken hat, die das Konstrukt zum Brechen bringen können. ... Wer einen abgewählten Präsidenten für eine Lame Duck gehalten hat, wird nun eines Besseren belehrt. ... Die Hoffnung ist, dass die große Mehrheit der Amerikaner kein Interesse an einem Bürgerkrieg hat und dass die Nationalgarde die Lage in den Griff bekommen wird. Aber der Abend wird in Erinnerung bleiben. Als ein Abend, an dem selbst die älteste durchgängig existierende Demokratie die Kante zum Abgrund deutlich gesehen hat.“
Kongress zeigt Stärke
Dass der Kongress später am Abend seine Sitzung fortsetzte, ist für Sydsvenskan hingegen ein wichtiges Signal:
„Ist dies das Ende einer äußerst gefährlichen politischen Phase - oder der Anfang von etwas noch Schlimmerem? Die Tatsache, dass der Kongress nun am selben Tag wie der Angriff seine Arbeit fortsetzt, ist auf jeden Fall eine Botschaft der Stärke an die amerikanischen Bürger und die Außenwelt: Die amerikanische Demokratie ist stark und beugt sich nicht Drohungen und Gewalt. Im Moment das beste Signal, das wir bekommen können.“
Putin lacht, Peking dankt
Autokraten in aller Welt freuen sich über die Ereignisse, fürchtet Gérard Roland, Ökonom der University of California in Berkeley in NV:
„Der Rest der Welt beobachtet verwirrt die größte Krise des amerikanischen politischen Systems seit dem Bürgerkrieg. Putin lacht, auch wenn Trump für ihn völlig nutzlos war, denn weder wurden die Sanktionen aufgehoben noch ernsthafte Maßnahmen ergriffen, die sein Regime unterstützen würden. Die chinesischen Führer trauen ihren Augen nicht. Dank Trump haben sie nun viele anschauliche Beispiele, mit denen man den Chinesen gut erklären kann, warum Demokratie schlecht und das kommunistische Regime besser ist.“