Skandal um Familienbeihilfen: Eiskalte Niederlande?
Die niederländische Regierung ist zwei Monate vor der Wahl wegen einer Affäre um Kinderbeihilfen zurückgetreten. Über 20.000 Eltern, davon ein Großteil mit Migrationshintergrund, wurden von den Behörden zu Unrecht als Betrüger dargestellt und es wurde von ihnen die Rückzahlung von Kita-Zuschüssen in Höhe von Zehntausenden Euros gefordert. Opfer-Anwälte sprechen von institutionellem Rassismus. Für die Presse ist die Affäre durch den Rücktritt nicht vom Tisch.
Das ist erst der Deckel der Jauchegrube
Mit dem Rücktritt ist es nicht getan, meint De-Volkskrant-Kolumnistin Sheila Sitalsing und fordert weitere Aufklärung:
„Wie weit ging die ethnische Selektion, wie lange hat sie gedauert, wer wusste wann davon, wer hätte das stoppen können, aber tat es nicht? ... Wir kratzen immer noch an der Oberfläche und rütteln erst am Deckel der Jauchegrube. Der Premier denkt wohl, dass er mit dem Rücktritt die Beihilfen-Affäre los ist, dass schnell klar Schiff gemacht wird. ... Und dass er jetzt mit voller Kraft vorausgehen kann. ... Aber es ist nicht auszuschließen, dass der ethnisch selektierende Staat zum Wahlkampfthema wird.“
Wir müssen wieder sozialer werden
Die Affäre lenkt das Augenmerk darauf, dass eine Mehrheit der niederländischen Bevölkerung eher Betrug bekämpfen als ärmeren Menschen helfen will, meint Kolumnist Tom-Jan Meeus in NRC Handelsblad:
„Man kann sagen, dass dieser Skandal an Rutte liegt, an den früheren Ministern [für Wirtschaft] Wiebes oder [für Soziales] Asscher, an Spitzenbeamten, an der Steuerbehörde, an der Vernachlässigung des Rechtsstaats - und die meisten Argumente treffen auch (ein wenig) zu. ... Aber dabei wird etwas Grundlegendes übersehen: Dieses Land ist unerbittlich gegenüber Nicht-Gewinnern geworden. Man könnte sagen: Politiker müssen ein gutes Beispiel abgeben. Ein wenig Milde und Verständnis für die Schwächen anderer, Einsehen, dass einem nur vertraut wird, wenn man auch Vertrauen schenkt: Vielleicht hilft es, wenn die Niederländer nach dieser Affäre in den Spiegel blicken.“