Was bedeutet die Haftstrafe gegen Nawalny?
Alexei Nawalny muss für zwei Jahre und acht Monate in ein Straflager. Ein Moskauer Gericht hat eine Bewährungsstrafe von 2014 in eine Haftstrafe umgewandelt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das Verfahren bereits 2017 als willkürlich bezeichnet. Europas Presse sieht Russland mit einem klar politischen Urteil zunehmend isoliert - und überlegt, was Nawalny nun helfen könnte.
Ein Held auf der letzten verbliebenen Bühne
Echo Moskwy zeigt sich von Nawalnys kämpferischen Schlusswort stark beeindruckt:
„Wenn man keine Möglichkeit hat, an Wahlen teilzunehmen und auf Parlamentstribünen zu sprechen, wenn man nicht friedlich auf die Straße gehen darf, um dort seine Gefühle und seine Meinung zu artikulieren und auch keinen Zugang zu den staatlichen Fernsehkanälen hat - dann bleibt nur noch das Gericht als Podium. ... Dieser Prozess war zu einer Million Prozent politisch. Und darum war das auch Nawalnys Rede. Er nutzt jede Gelegenheit, um Putin anzugreifen und geht mit dem Kopf durch die Wand, da er nicht mit Nachsicht und Gnade rechnet. ... Dafür erntet Nawalny großen Respekt, denn Mut und Bravour stehen in unserem Land schon auf der Roten Liste.“
Offiziell zur Diktatur degradiert
Russland provoziert den endgültigen Bruch mit dem Westen, befürchtet Russland-Expertin Anna Zafesova in La Stampa:
„Der Westen fordert die 'bedingungslose und sofortige' Freilassung Nawalnys und betrachtet ihn als politischen Gefangenen. Mit anderen Worten, es wird nicht einmal mehr in Betracht gezogen, die russische Justiz, ihre Motive und Verfahren ernst zu nehmen. … Von einer 'unvollendeten Demokratie' und einem 'Übergangsregime' , also von einem hybriden System, mit dem man in Dialog treten kann, wird Russland zu einer Diktatur degradiert, der man mit Verurteilungen - 'auf das Schärfste', wie von der Leyen betont - und Druck begegnen muss. Moskau hat dieses Risiko nicht nur in Kauf genommen, sondern den Prozess sogar noch beschleunigt.“
Miserabler Schauprozess
Russland hat sich von der übrigen Welt abgekoppelt, meint auch Helsingin Sanomat:
„Das Gerichtsverfahren war ein Schauprozess im besten oder schlechtesten Sinne. Von der sechsjährigen Bewährungsstrafe waren im Dezember noch zwei Tage übrig, als die Behörden Nawalny offiziell aufforderten, sich zu melden. Außer ihnen schien die ganze Welt zu wissen, wo Nawalny sich aufhielt. … Wie unterschied sich die Vorstellung vom Dienstag von stalinschen Schauprozessen der 1930er Jahre? Stalin schickte den ausländischen Vertretern Einladungen und Freikarten, so erklärte der Chefredakteur des Radiosenders Echo Moskwy, Alexei Wenediktow. Putins Sprecher Dmitri Peskow und die Pressechefin des Außenministeriums Maria Sacharowa hingegen beschimpften die EU-Länder, die es gewagt hatten, Diplomaten in den Gerichtsaal zu entsenden. Putins Russland ist in ein eigenes Universum abgetrieben.“
Intelligent unterstützen
Druck auf Russland sollte gut abgesprochen sein, um auch die erwünschte Wirkung zu erzielen, rät El País:
„Man muss auf die Freiheit pochen und auf die körperliche Unversehrtheit Nawalnys, der wiederholt betont hat, dass er keinerlei Absichten hat, Selbstmord zu begehen. Der Westen muss seine Unterstützung auf intelligente Art und Weise zeigen, ohne Nawalny den Ruf eines Okzidentophilen einzubringen. Außerdem muss man geschlossen auftreten, damit der Druck auf den Kreml wirksam ist. Der Moskaubesuch des Hohen Vertreters der EU-Außenpolitik bietet eine gute Gelegenheit. Josep Borrell sollte ein Treffen mit dem verurteilten Oppositionsführer ersuchen.“