EU-Russland-Beziehungen: Droht der Abbruch?
Der Rat der EU-Außenminister will nach dem verunglückten Borrell-Besuch am 22. Februar über Sanktionen gegenüber Russland entscheiden. Dessen Außenminister Lawrow drohte deswegen bereits mit dem Abbruch der Beziehungen zur EU. Der Kreml und das Außenministerium schwächten diese Aussage allerdings später wieder ab. Kommentatoren analysieren Moskaus Auftreten.
Europa hat den Finger in die Wunde gelegt
Die aggressiven Töne Lawrows sind ein Indiz dafür, dass Kritik an der russischen Innenpolitik die Machthaber mehr trifft als Kritik am außenpolitischen Vorgehen, meint Kolumnist Witalij Portnikow in Krym.Realii:
„'Willst du Frieden, bereite dich auf den Krieg vor.' Der Umstand, dass sich Sergej Lawrow [in einem Interview an die EU gerichtet] dieses alten römischen Spruches bediente, um die Außenpolitik zu rechtfertigen, zeigt, wie weit das Regime von Wladimir Putin in die Vergangenheit zurückzugehen bereit ist, nur um die Macht zu erhalten. … Als es zwischen der EU und dem Kreml wegen der aggressiven Handlungen Russlands in der Ukraine oder, davor, in Georgien einen Konflikt gab, schien Moskau noch bereit zu sein, Anstand zu wahren. Doch als die Europäer begannen, über die Probleme von Russland selbst zu sprechen, da versagten die Nerven.“
Elite will nicht auf die Sanktionsliste
Die faktische Zurücknahme der Lawrow-Äußerungen ist ein Zeichen interner Konflikte in Moskauer Machtzirkeln, schreibt der Publizist und Oppositionspolitiker Leonid Gosman in Echo Moskwy:
„Sie sind sich nicht so einig, wie das oft scheint. Es gibt da 15 bis 20 Putin besonders nahe Leute, die in Bezug auf den Westen nichts mehr zu verlieren haben. ... Aber die restlichen oberen Zehntausend unterliegen keinen Sanktionen und wollen ihr mühelos Verdientes in Ruhe ausgeben - dort, in Feindeslanden. ... Offenbar hat der Alleroberste verstanden, dass Lawrow zu weit ging und ihm dessen Säbelrasseln nicht Intelligenzler und Jugendliche - auf die er schon lange pfeift - zu Feinden macht, sondern die eigenen Leute: Gouverneure, regionale wie föderale Minister, das Business - kurzum alle, mit denen man es sich besser nicht verdirbt. Denn sonst wächst die Gefahr einer Palastrevolte.“
Sputnik V stärkt Moskaus Position
Russland kann sich dank des Impfstoffmangels noch dreister benehmen als während der Krim-Krise, analysiert Večernji list:
„Diese Veränderung ist zumindest zum Teil Ergebnis des Erfolges des russischen Impfstoffes Sputnik V, der zur mächtigen geopolitischen Waffe in den Händen Moskaus wurde, das an der aktuellen Radikalisierung der russischen Haltung gegenüber der EU Schuld ist. ... Sputnik V ist zweifelsohne ein großer politischer Erfolg, den Russland auf dem politischen Parkett zu nutzen versuchen wird - besonders im Verhältnis gegenüber der EU. ... Davon zeugen das Beispiel Ungarns, das gestern als erstes EU-Mitglied anfing, den russischen Impfstoff einzusetzen, aber auch Österreich, Deutschland und andere EU-Mitglieder, die Sputnik V nutzen möchten.“
Bitte keine Einmischung in Innenpolitik!
Der Politologe Dmitri Suslow sieht eine klare Linie des Kremls in der diplomatischen Kommunikation, wie er in Kommersant erläutert:
„Russland gibt mit allen Mitteln zu verstehen, dass die Aufnahme von innenpolitischen Fragen in die Tagesordnung jene rote Linie ist, die nicht überschritten werden darf - ganz zu schweigen von offener Unterstützung für Gegner der politischen Führung, wie sie die EU seit August demonstriert. Aber auch, dass Moskau den Dialog mit der EU bei außenpolitischen Fragen und gemeinsamen Herausforderungen sucht (Klima, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Terrorismus, Irans Atomprogramm, Arktis) und an einer Zusammenarbeit in Bereichen wie Energie, Wissenschaft, Bildung und Tourismus interessiert ist.“