Litauen streitet über Familienbild
Zu einem "Marsch für die Familie" am Samstag in Vilnius haben Gegner von LGBT-Rechten und der Umsetzung der Istanbul-Konvention aufgerufen. Kommentatoren beschäftigen sich mit dem Wandel des Familienverständnisses in Litauen und dem Recht auf Andersdenken.
Gesellschaft muss sich der Zukunft öffnen
Die Vorstellung von Familie ist im ständigen Wandel, erinnert die Historikerin Dalia Leinartė auf Lrt:
„Im 19. Jahrhundert wurden die althergebrachten Werte zum Hindernis für die Entwicklung. Die späteren sowjetischen Traditionen entsprechen nicht mehr den heute verbreiteten Formen von Familie und Partnerschaft. Die postsowjetische Tradition fördert die körperliche und psychische Gewalt in den Familien. ... Heute sind die Beziehungen komplexer und zu einer Familie zählen oft nicht nur Mutter, Vater und ihre Kinder. Wir müssen den Wandel der Familientradition begrüßen und zulassen, dass sich unsere Gesellschaft der Zukunft öffnet. Denn eine Tradition ist nur so lange lebendig, wie sie der Gesellschaft dient und für Veränderungen offen ist.“
Der Feind sitzt woanders
Die Philosophin Nida Vasiliauskaitė warnt auf Delfi davor, dass plumpe Kritik an den Demonstrierenden die Sicht auf das eigentliche Problem verstellt:
„Lasst sie doch marschieren. Ich habe keine Angst vor dem 'Volk', den 'traditionellen Familien', den Sexisten, den Misogynen und den Homophoben. Ich habe Angst vor den immer länger werdenden bürokratischen Tentakeln, einer ständig kontrollierten Gesellschaft und dem sogenannten guten politischen Geschmack, der unsere Grundrechte, die Demokratie, unsere Privatsphäre und letztendlich auch das Individuum (als unabhängiges soziales Element) demontieren will. Für ihre und unsere Freiheit (ja, ich gehöre zu den LGBT)! Wir sind keine Feinde. Wir haben einen gemeinsamen Feind.“