Israel: Regierung ohne Netanjahu möglich?
Rund zwei Monate nach der jüngsten Wahl in Israel zeichnet sich eine Regierungsbildung gegen Premier Netanjahu ab. Der liberale Oppositionsführer Jair Lapid konnte das national-religiöse Jamina-Bündnis für eine Zusammenarbeit gewinnen - dafür soll dessen Chef Naftali Bennett für zwei Jahre Premier werden. Europas Presse glaubt nicht, dass Lapids breite Koalition, der viele unterschiedliche Parteien angehören würden, Zukunft hat.
Kleinster gemeinsamer Nenner
Die Koalitionswilligen schweißt nur eine Sache zusammen, erklärt Gazeta Wyborcza:
„Eine ideologisch so gespaltene Regierung wird keine wichtigen Entscheidungen treffen können und wahrscheinlich schnell zusammenbrechen. Es gibt weder einen Konsens in der Palästinenserfrage, noch in der Frage des Säkularismus. ... Es gibt jedoch Einigkeit über ein Gesetz, das es unter Anklage Stehenden verbietet, den Posten des Premierministers zu bekleiden. Nach dessen Verabschiedung müsste Netanjahu sein Urteil abwarten, bevor er in die Politik zurückkehren kann. Selbst wenn er freigesprochen würde (was unwahrscheinlich ist, weil die Gerichte in Israel unabhängig sind und Korruption entschieden bekämpfen), wird er dann nur ein pensionierter Demagoge aus einer vergangenen Ära sein.“
Nahost-Politik ändert sich nicht
Ein Linksruck ist in der israelischen Politik mit dem Oppositionsbündnis in der Regierung und Naftali Bennett als Premierminister nicht zu erwarten, meint The New Statesman:
„Bennett und Netanjahu vertreten größtenteils die gleiche Ideologie, insbesondere die Unterstützung des Siedlungsbaus, eine unerschütterliche Opposition gegen die Schaffung eines palästinensischen Staates und die Unterstützung einer Annektierung von zumindest Teilen des Westjordanlandes. ... Sollte Netanjahu gehen, dann nicht, weil das Land links gewählt hat, sondern weil seine Entschlossenheit, um jeden Preis im Amt zu bleiben, die Rechten in ein Pro- und Anti-Netanjahu-Lager gespalten hat.“
Versöhnliche Töne nach Eskalation
Die taz wiederum äußert leise Hoffnung:
„Erstmals will eine arabische Partei, die arabisch-islamische Raam, eine israelische Regierung unterstützen - wenn wohl auch nicht als offizieller Koalitionspartner. Nach den schweren Unruhen zwischen arabischen und jüdischen Israelis ist das ein nicht zu unterschätzendes Symbol. Eine politische Bindung kann einen versöhnlichen Ton in die innerisraelische Debatte bringen, der nach der Gewalteskalation dringend nötig ist.“
Bibi gibt nicht auf
Netanjahu hat noch ein paar Optionen, analysiert La Repubblica:
„Die Karte, auf die er in den nächsten zehn Tagen setzt, ist die der Überläufer; angefangen bei der Laizistin Ajelet Schaked, der zweiten Säule von Jamina, der das Bündnis mit den Linken weniger zusagt. Denn es würde sie daran hindern, ihr Steckenpferd, die Reform des Justizsystems, durchzuführen. Shaked bleibt vielleicht Netanjahus letzte Hoffnung, die 'Regierung des Wandels' zu zerschlagen. ... Sollten die Versuche scheitern, würde sich Netanjahu genau 25 Jahre nach dem Sieg über Peres, der ihm zum ersten Mal das Amt des Premiers bescherte, in der Opposition wiederfinden, von der aus er die heterogene Mehrheit herausfordern würde, um so schnell wie möglich wieder Wahlen anzuberaumen.“