Israel-Wahl: Wie die Blockade durchbrechen?
Nach der vierten Wahl innerhalb von zwei Jahren zeichnet sich in Israel abermals eine schwierige Regierungsbildung ab. Der rechtskonservative Likud von Premier Netanjahu bleibt nach Auszählung von rund 90 Prozent der Stimmen trotz Verlusten stärkste Kraft. Doch es reicht nicht für eine Mehrheit für sein angestrebtes Bündnis aus rechten und religiösen Parteien. Kommentatoren analysieren eine vertrackte Situation.
Fünfte Wahl nicht auszuschließen
Insgesamt ziehen voraussichtlich 13 Parteien in die Knesset ein. Die zersplitterte Parteienlandschaft und der kontroverse Premier lähmen das Land, stellt El Mundo fest:
„Die außergewöhnliche Fragmentierung des politischen Systems in Israel entpuppt sich als ernsthaftes Problem für die Regierbarkeit eines Landes, das eine große geostrategische Bedeutung in der internationalen Politik hat und vor so wichtigen Herausforderungen wie der Wiederbelebung seiner stark pandemiegeschädigten Wirtschaft steht. Trotz seines Wahlerfolgs ist Netanjahu inzwischen zu einer Persönlichkeit geworden, die so sehr polarisiert, dass man einen fünften Urnengang nicht ausschließen kann.“
Einheitsregierung das Gebot der Stunde
Der israelische Premier muss jetzt eine Niederlage eingestehen, fordert The Jerusalem Post:
„Netanjahu muss erkennen, dass er keine Koalition bilden kann, die es ihm ermöglicht, Immunität zu erhalten. Er hat nicht die nötigen Stimmen. Anstatt die Nation in eine weitere Wahl zu zwingen, muss er sich jetzt bewegen. ... Nüchtern betrachtet verlangen die verwirrenden Ergebnisse nach einer Regierung, die Parteien aus allen Lagern zusammenbringt, wobei jede einige ihrer Ziele preisgeben muss. Netanjahu könnte sie bilden, indem er Mitte-Links-Positionen einbindet. Oder Jair Lapid [von der liberalen Jesch Atid], wenn er das Gleiche mit Positionen von rechts tut. Beides wäre legitim. Eine knappe Pro-Netanjahu- oder Anti-Netanjahu-Regierung ist zum schnellen Scheitern verurteilt. Angesichts der Notwendigkeit, eine fünfte Wahl zu vermeiden, ist eine Einheitsregierung jetzt das Gebot der Stunde.“
Auf der Suche nach der Krücke
Um Premier bleiben zu können, könnte Netanjahu auf die arabische Ra'am-Partei zugehen, analysiert La Stampa:
„Die mögliche Koalition zwischen dem Likud und den beiden traditionellen religiösen Parteien, Naftali Bennetts Jamina und den ultrarechten Religiösen Zionisten, die mit sechs Abgeordneten einen fulminanten Einzug in die Knesset schafften, braucht eine Krücke. Und im Moment weiß der dienstälteste Premier in der Geschichte Israels nicht, wo er sie finden soll. ... Das ist der Grund, warum Likud-Quellen eine mögliche Krücke seitens Ra'ams ins Spiel gebracht haben. ... Um die Araber zu überzeugen, setzt Netanjahu auf die Friedensabkommen mit den Golfmonarchien und auf die Rekordimpfkampagne, die auf die palästinensischen Gebiete ausgeweitet werden könnte.“
Die Frommen Hand in Hand
Eine augenscheinlich gute Nachricht nennt es die taz, dass zum ersten Mal in der Geschichte Israels eine arabische Partei an einer Regierung beteiligt werden könnte:
„Augenscheinlich insofern, da die konservativ-islamische Ra’am nur einen kleinen Teil des arabischen Sektors repräsentiert. Queer- und Frauenrechte sind im Parteiprogramm so wenig vorgesehen wie bei den jüdisch-orthodoxen Listen. Im Kampf gegen die Liberalen, gegen Feministinnen und gegen sexuelle Freiheit marschieren die Frommen Hand in Hand. ... Paradoxerweise könnte ausgerechnet der Politiker, der einst vor den AraberInnen warnte, 'die massenhaft zu den Wahlurnen strömen', der Erste sein, der sie zum Mitregieren einlädt. Das wäre ein für die Koexistenz wichtiges Signal.“
Dammbruch rechts außen
Der erstmalige Knesset-Einzug des rechtsextremen Bündnisses Religiöser Zionismus, das unverhohlen homophobe, rassistische und gewaltverherrlichende Positionen vertritt, macht Le Temps große Sorgen:
„Dass die Bewegung heute akzeptiert wird, ist der jüngste Ausdruck des radikalen Wandels, welchen das seit zwölf Jahren von Benjamin Netanjahu regierte Land durchlebt. ... Die Gesellschaft insgesamt driftet immer deutlicher nach rechts, der Staat bewegt sich weiter in Richtung religiöser Zionisten und Ultraorthodoxer, so dass er nichts mehr mit dem Traum seiner Gründer gemein hat. Die Mehrheiten im Parlament sind, wenn sie überhaupt zustande kommen, so knapp, dass jeder einzelne Abgeordnete praktisch zu einem Königsmacher wird. ... Der Bruch, der sich immer deutlicher abzeichnet, verläuft zwischen den Israelis, die den jüdischen Nationalstaat gutheißen, und denjenigen, die weiterhin am demokratischen Charakter des Landes hängen.“
Bibi bleibt
Auch wenn die Regierungsbildung in Israel kompliziert wird - Netanjahu wird sich nicht so schnell verabschieden, glaubt The Spectator:
„Im Sommer steht die Wahl des israelischen Präsidenten an. .... Der Präsident wird von der Knesset gewählt, hat Pomp, aber kaum Macht – und genießt Immunität. Manch einer fragt sich, ob Netanjahu diese Position reizen könnte, damit das Verfahren gegen ihn für die sieben Jahre der Präsidentschaft ausgesetzt wird und ihm ein würdiger Weg aus der Politik ermöglicht wird. Aber wir sollten Bibi nicht abschreiben. Seine Partei und seine Verbündeten haben die Wahl noch nicht gewonnen, aber sie haben sie auch nicht verloren. Man kann immer Deals eingehen, Überläufer locken und wenn alles schiefgeht: Wahl Nummer fünf anberaumen.“