Opposition: Moskau zieht die Daumenschrauben an
In Russland hat die Verfolgung kremlkritischer Stimmen in den vergangenen Wochen stark zugenommen. Die Behörden gingen mit Festnahmen, Durchsuchungen und Ermittlungsverfahren gegen mehrere unabhängige Oppositionelle vor. Das kritische Nachrichtenportal newsru.com musste nach 21 Jahren den Betrieb einstellen, am 12. Juni wird VTimes folgen. Kommentatoren sind alarmiert.
Die mediale Mitte wird zerrieben
Der Ökologe Wladimir Sliwjak lobt in einem Nachruf auf VTimes das Onlinemedium für seine bis zuletzt konsequent objektive Position:
„VTimes erklärte, dass es nicht zu einem oppositionellen Medium gemacht werden wolle. Darin liegt ein besonderer Wert: in der Mitte stehen, wie es sich für Journalisten ziemt. Doch just diese Mitte wird in Russland liquidiert: Man darf kein ehrlich objektiver Beobachter sein. Wenn du mit der Staatsmacht nicht einverstanden bist, trage das Etikett des ausländischen Agenten. ... Man darf entweder auf Seite der Staatsmacht sein oder gegen sie, balancieren geht nicht. Die Schließung von VTimes ist eine Weigerung, nach aufgezwungenen Regeln zu spielen und zeitgemäßer ziviler Ungehorsam. Und die einzige ehrliche Antwort auf das Geschehen.“
Niemand ist mehr sicher
Der liberale Petersburger Stadtparlamentsabgeordnete Boris Wischnewski sieht in einem von Echo Moskwy übernommenen Telegram-Post jeden kremlkritisch Denkenden in Gefahr:
„Fast jeden Tag macht der durchgedrehte 'Gesetzesdrucker' [die Duma] neue Vorschläge für Verbote, Strafen und Rechtsbeschränkungen. Man versucht, die Zivilgesellschaft einzuschüchtern, indem man den Bürgern zeigt, dass jedes Nichteinverständnis mit der Staatsmacht als strafbare Handlung gilt. Und dass Oppositionsaktivitäten nun kriminell sind. Unter die Walze der Repressionsmaschine kann jeder geraten, der es wagt, sich über das Geschehen zu erregen. Oder wer die Verfolgten unterstützt. Oder wer einen Machtwechsel durch Wahlen fordert. Oder wer als Oppositionskandidat an Wahlen teilnimmt. Niemand ist mehr sicher.“
Ehrliche Nachrichten sind bereits toxisch
Nowaja Gaseta sieht die wirtschaftlich begründete Einstellung von newsru.com im politischen Gesamtrahmen:
„Die Arbeitsstandards von newsru.com sind, so wie zuvor schon bei 'Wedomosti' und anderen Medien, in Widerspruch zur russischen Realität geraten. Den schwersten Schlag versetzte newsru.com der Umstand, dass ehrliche Nachrichten für Werbekunden zu toxisch geworden sind. Für sie ist es sicherer, ihr Geld dorthin zu tragen, wo man über Lifestyle, Marmeladenfestivals oder schlimmstenfalls Geopolitik schreibt. Sonst heißt es, man finanziere die Opposition. Angesichts der endlosen Durchsuchungen bei unabhängigen Politikern und der Niederlage der Nawalny-Anhänger wirkt die Schließung von newsru.com durchaus symbolisch.“