Pandschir: Widerstand gegen Taliban gebrochen?
Die Taliban haben nach eigenen Angaben auch Pandschir erobert - die einzige afghanische Provinz, die bisher noch von Widerstandskämpfern gehalten wurde. Kämpfer posierten schwer bewaffnet vor dem Sitz des Gouverneurs. Die Widerstandsfront NRF widersprach. Unterdessen ernannten die Taliban erste Minister für eine neue Regierung. Dennoch sehen nicht alle Kommentatoren den Widerstand gebrochen.
Es war eine Wunschvorstellung
Der Westen hat sich von den Widerständlern allzu viel versprochen, kritisiert der Kriegsreporter Domenico Quirico in La Stampa:
„Das Heldenepos, das sich einige schon in den rosigsten Farben ausgemalt hatten: Das Tal, von dem einst die Zerstörung des Sowjetreichs ausging, widersetzt sich furchtlos den schwarzen Turbanen. ... Alle, die Nein zu den Taliban und zum beginnenden Mittelalter sagen wollen, scharen sich um den jungen Massoud [Führer der Widerstandstruppen im Pandschir-Tal] und schöpfen neuen Mut. ... Der humanistische und unterwürfige Westen versucht, sich den Verrat verzeihen zu lassen und aufs Spielfeld zurückzukehren. ... Doch das Drehbuch hält nicht stand. Wunschvorstellungen. Die Epiphanie des Guten wird auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Helden sind müde, sie werden nicht marschieren.“
Mit Beharrlichkeit bleibt alles möglich
Der Philosoph Bernard-Henri Lévy hingegen glaubt weiter an den Widerstand, wie er in La Repubblica schreibt:
„[Afghanistan] liegt in der Grube, in die die Pandschir-Kämpfer gefallen sind, aber seine Flamme ist nicht erloschen und noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. ... Die zum Rückzug gezwungenen, aber entschlossenen Partisanen von Pandschir sind wie die Frauen von Herat, Kabul und Kandahar, die den Taliban beharrlich trotzen. Sie sind das Unerklärliche, das Teil der Menschheit bleibt und das kein noch so großes Unglück unterdrücken kann. Der Teil, der widersteht, überlebt und im Schmelztiegel der gemeinsamen Prüfungen stärker wird. ... Sie sind der Rest von Afghanistan, die Hoffnung. Der Widerstand, der beginnt.“
Mutige Afghaninnen bieten Taliban die Stirn
Anders als die zurückgekehrten Machthaber haben sich Afghanistans Frauen verändert, beobachtet die Wiener Zeitung:
„Die neuen Herren, so scheint es, haben in Afghanistan jeden Widerstand gebrochen. Um so erstaunlicher sind die Nachrichten aus Kabul, wo am Wochenende Frauen gegen ihre Entrechtung protestiert und sich Schreiduelle mit den Taliban geliefert haben ... Dafür braucht es Mut, das ist Courage. Immerhin sind die Taliban für ihre Brutalität bekannt - den Beteuerungen, dass man sich geändert habe und Toleranz üben wolle, glaubt keiner so recht. ... Diese Demonstrationen zeigen, dass das 20-jährige Engagement des Westens am Hindukusch doch nicht völlig umsonst war. ... Mögen die Taliban in ihren Grundsätzen die Gleichen sein wie vor 20 Jahren - viele afghanische Frauen sind das nicht mehr.“
Profiteure sind Pakistan und China
Die Widerstandsfront NRF beklagte sich, sie hätte im Pandschir-Tal nicht nur gegen die Taliban, sondern auch gegen die pakistanische Armee kämpfen müssen. Auch Radio Kommersant FM sieht da eine enge Verbindung:
„Islamabad hatte nicht nur direkt mit der Gründung der Taliban-Bewegung zu tun, es hat sie auch bei den jüngsten Kämpfen unterstützt. Ungeachtet aller Nuancen und dem Fehlen völliger Kontrolle über die Taliban steht außer Zweifel, dass gerade dieses Land Hauptalliierter und Schutzmacht des neuen Regimes in Kabul wird. Auch Peking kann sich - nicht zuletzt wegen seiner guten Kontakte zu Pakistan - auf der sicheren Seite fühlen: Die USA als Hauptopponent sind aus Afghanistan verdrängt und chinesische Firmen haben die Chance, afghanische Rohstoffe abzubauen und Transportrouten durchs Land zu ziehen.“