9/11: Wie die Anschläge die Welt verändert haben
20 Jahre sind seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 vergangen. Auf sie folgten der "Krieg gegen den Terror" und der US-Einmarsch in Afghanistan. Doch nicht nur geopolitisch gilt das Datum als Zeitenwende: Kommentatoren richten ihren Blick auf weitere politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Brüche, die 9/11 mit sich gebracht hat.
Misstrauen gegenüber Muslimen nutzt Terroristen
NRC Handelsblad hat zum Jahrestag Erinnerungen von jungen niederländischen Muslimen veröffentlicht und weist mahnend auf die Folgen des Misstrauens gegenüber einer ganzen Glaubensgemeinschaft hin:
„Kinder wurden von Klassenkameraden als Terrorist beschimpft, hörten am 11.9. zu Hause, dass sie sich in der Schule am nächsten Tag lieber still verhalten sollten. Die Anschläge an der amerikanischen Ostküste veränderten demnach entscheidend das Leben von jungen Menschen. In ihren Geschichten steckt eine Warnung: Immer wenn Muslime über einen Kamm geschoren werden, sie sich von den Anschlägen distanzieren müssen, wird die Kluft zwischen Nicht-Muslimen und Muslimen größer. Das ist genau das, was Osama Bin Laden beabsichtigte.“
Diskussion über bessere Welt wurde vertagt
9/11 hat die Debatte um eine andere Globalisierung komplett zurückgeworfen, stellt Aftonbladet resigniert fest:
„Einer ganzen Generation junger Menschen, die wirklich dachten, sie könnten eine andere Welt ermöglichen, wurde die öffentliche Debatte versagt. ... Was hätte passieren können, wenn dieses Gespräch fortgesetzt worden wäre? Wenn die Staats- und Regierungschefs der Welt über die Tobin-Steuer [auf Devisengeschäfte], die Besteuerung der Superreichen, die Klimakrise und die internationale Gewerkschaftssolidarität gesprochen hätten, hätten wir in den letzten 20 Jahren wahrscheinlich mehr Antworten darauf gefunden, wie Gerechtigkeit hätte zunehmen, die Plünderung des Planeten abnehmen und die Demokratie vor autoritären Kräften geschützt werden können.“
Grundstein für US-Dominanz in der Digitalwirtschaft
Die institutionelle Überwachung der Gesellschaft hat zwar nicht am 11. September begonnen, schreibt Eco,
„aber sie ist dadurch legitimiert und globalisiert worden - mit einer unvorhersehbaren Folge: Die Dominanz des amerikanischen Modells über die digitale Wirtschaft. … Die Europäer sind lange nicht aus ihrem Traum aufgewacht, dass diese die weltweite Kooperation fördern würde, und das hat sich schnell zu einem effektiven Instrument der ökonomischen Vorherrschaft [der USA ] entwickelt. In der entstehenden digitalen Wirtschaft konnte sich die Machtstellung der amerikanischen Riesen in Europa ohne Kontrolle entfalten. Der Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung führte dann zur Übernahme von über 800 möglichen Konkurrenten und zur Zerstörung von noch einmal so vielen Firmen.“
Der Glaube an universelle Werte ist passé
Chefredakteur Massimo Giannini beklagt in La Stampa ein böses Erwachen:
„Mühsam hatten wir unsere Demokratien mit Vertrauen in den Fortschritt, in Mitbestimmung, Toleranz, Freiheit und Rechte aufgebaut. Wir glaubten, dass die Wertegemeinschaft, die wir den Westen zu nennen gelernt haben, für alle attraktiv ist. ... Wir glaubten, dass die Grundlagen jeder liberalen Demokratie, also Verfassung, säkularer Staat und Gewaltenteilung, Parlamente und das Bündnis zwischen Kapital und Arbeit, allen Einflüssen der Geschichte standhalten könnten. Wir glaubten, dass der Fall der Mauer die Rechnung zwischen Ost und West für immer und zu unserem Vorteil beglichen hatte. Wir glaubten, dass unsere Wohlstandsgesellschaften die tausendjährigen Religionen und die Ideologien des 20. Jahrhunderts entwaffnet hätten. Wir haben uns geirrt.“