Frankreichs größte Tageszeitung verbannt Umfragen
Die französische Zeitung Ouest-France hat angekündigt, zur Präsidentschaftswahl 2022 keine Umfragen durchzuführen. Wahlprognosen würden vom Wesentlichen ablenken, so die Begründung. Ouest-France ist, von Gratisblättern abgesehen, Frankreichs Tageszeitung mit der höchsten Auflage. Ist ihr Schritt geeignet, um Demokratie und Debattenkultur zu stärken?
Direkten Kontakt zu Bürgern wiederherstellen
Auf einen neuen politischen Dialog drängt der Chefredakteur von Ouest-France, François-Xavier Lefranc:
„Der Umfragewahn hindert Politiker und Medien daran, der Vielfalt des Landes, seiner Einwohner und seiner Regionen Gehör zu schenken. Er wiegt uns in Illusionen und macht uns blind. ... Die Demokratie ist fragil. Wir neigen zu sehr dazu, zu denken, dass sie auch in erschöpftem Zustand solide genug ist, der Zeit standzuhalten. ... Die schnelle Zunahme populistischer, hasserfüllter und extremistischer Äußerungen sollte uns jedoch wachhalten. Die Demokratie neu zu stärken gelingt nicht durch Befragen 'repräsentativer Panels', sondern indem man den Einzelnen zuhört. Es muss dringend ein neuer politischer Raum für direkten Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern geschaffen werden.“
Den Puls der Wähler nicht ignorieren
Etwas behutsamer bitte, mahnt La Libre Belgique:
„Man sollte sich nicht täuschen! Die Demokratie verlangt per Definition von den Regierenden, dass sie der Bevölkerung auf den Puls fühlen: Ein regelmäßiges 'Barometer' oder eine punktuelle Umfrage sind Mittel - unter anderen -, um dies zu tun. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie sich ihr Handeln von Umfragen diktieren lassen und auf eine Entscheidung verzichten sollen, sollte diese unbeliebt sein. Regieren darf nicht darauf beschränkt werden, nach der Gunst der Öffentlichkeit zu streben. ... Um dies zu verhindern, müssen Umfragen dringend auf ihren Platz verwiesen werden, indem man ihre Allgegenwart und Allmacht zurückweist.“