Istanbul: Erdbeben nach politischen Erschütterungen

Istanbul wurde letzte Woche von einer Serie von Erdbeben erschüttert, 1.025 Gebäude wurden beschädigt. In der türkischen Metropole mit etwa 16 Millionen Einwohnern ist jederzeit mit einem deutlich heftigeren Beben zu rechnen. Doch derweil sitzen der Istanbul Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu und viele Verantwortliche in Schlüsselpositionen im Gefängnis. Die Landespresse diskutiert die Lage.

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Cumhuriyet (TR) /

Verhaftungen statt Krisenmanagement

Während die Stadt sich in Kooperation mit dem Staat auf ein schweres Beben vorbereiten müsste, lässt die Regierung alle bei der Stadtverwaltung Zuständigen festnehmen, schimpft Cumhuriyet:

„Obwohl wir heute bei der Bekämpfung möglicher Erdbebenrisiken mehr denn je eine gemeinsame Strategie, Solidarität und gemeinsame Aktionen brauchen, halten der Präsident und die Minister ein Meeting zum Thema Erdbeben in Istanbul ab, aber der gewählte stellvertretende Bürgermeister von Istanbul wird nicht einmal zu dem Treffen eingeladen. Wichtige Stadtplaner, die in der Istanbuler Stadtverwaltung arbeiten, sitzen im Gefängnis. Damit nicht genug, wurden gestern in einer zweiten Operationswelle sogar die Ehegatten der Inhaftierten festgenommen.“

Akşam (TR) /

Bereicherung auf Kosten der städtischen Sicherheit?

Die Inhaftierten hatten anderes zu tun als Istanbul auf Erdbeben vorzubereiten, kontert die regierungsnahe Zeitung Akşam:

„Was haben diejenigen, die im Gefängnis sitzen, in Wirklichkeit getan? Widerstand gegen die Stadterneuerung gezeigt. ... Städtische Budgets für Werbung ausgegeben, anstelle für den Stadtumbau. Das bedeutet was? Sie haben sich stattdessen selbst bereichert. ... Wer das nicht glaubt, sollte sich folgende Frage stellen: Wie viele einsturzgefährdete Gebäude haben diese Leute bisher mit ihren Milliarden von Lira abgerissen und wie viele stabile Gebäude haben sie bisher gebaut – und falls sie das nicht getan haben, wofür haben sie dieses Geld dann ausgegeben?“

T24 (TR) /

Katastrophenhilfe von unten aufbauen

Angesichts des Ausfalls des Istanbuler Mobilfunknetzes durch das Beben fordert Kolumnistin Füsun Sarp Nebil in T24, Vernetzung durch bürgerliche Selbsthilfe zu schaffen:

„Wenn die AKP-Regierung keinen Wert auf unseren Zugang zu Kommunikationsmöglichkeiten bei Erdbeben legt, sollten wir als Volk dies selbst tun. Funksysteme sind ein wichtiges Kommunikationselement nicht nur bei Erdbeben, sondern auch bei allen Arten von Katastrophen und in Kriegszeiten. Wir sollten uns für die Verbreitung dieser Instrumente einsetzen. Und wir müssen eine Katastrophenkultur schaffen. Freiwillige Helfer aus der Nachbarschaft sind sehr wichtig. ... Es sollten sich viel mehr Menschen diesen Gruppen anschließen. Sie erklären nützliche Dinge wie zum Beispiel Notfallmaßnahmen.“