Ist der Kampf gegen Impfskepsis schon verloren?
Rund 65 Prozent der EU-Bürger sind inzwischen komplett gegen das Coronavirus geimpft. Doch die Verteilung ist höchst unterschiedlich, und auch Länder mit vergleichsweise hoher Impfquote schaffen die nötigen Raten zur Eindämmung der Delta-Variante kaum. Über Ursachen und den passenden Umgang mit Impfskepsis und -gegnern diskutiert Europas Presse.
Bulgaren brauchen Impfung gegen Fake News
Die 14-Tage-Inzidenz in Bulgarien (Impfquote rund 20 Prozent) hat erstmals über 900 Covid-Infizierte pro 100.000 Einwohner erreicht. Die Intensivstationen der Krankenhäuser sind überfüllt. Die bulgarische Gesellschaft braucht nicht nur die Impfung gegen das Coronavirus, sondern auch gegen Falschinformationen, kommentiert der bulgarische Dienst der Deutschen Welle:
„Andernfalls sieht unsere Zukunft düster aus. Allein in der letzten Woche sind in Bulgarien 885 Menschen an Covid gestorben. 95 Prozent von ihnen waren nicht geimpft. Trotzdem verfestigen sich die Lügen über Impfstoffe im öffentlichen Bewusstsein immer weiter, ähnlich wie die Lügen über die 'Gender'-Verschwörung und ein Haufen anderer unsinniger Vorurteile.“
Hetz- statt Impfkampagne in Ungarn
Die Regierung in Budapest (Impfquote Ungarn rund 60 Prozent) hat die Gelegenheit rechtzeitiger Aufklärung verpasst, ärgert sich Mérce:
„Die Regierung hatte im vergangenen Jahr die uneingeschränkte Chance, die bestehenden Bedenken auszuräumen und die Menschen mit schönen Worten davon zu überzeugen, dass sie sich impfen lassen sollen - nicht nur der eigenen Gesundheit wegen, sondern auch zum Schutz der ihnen nahestehenden Personen. ... Doch die Regierung hielt es stets für wichtiger, mal gegen Flüchtlinge, mal gegen unsere Roma-Mitbürger, dann wieder gegen Strafgefangene oder Homosexuelle zu hetzen.“
Randale ist kein Bürgerrecht
Dass Impfgegner in Estland (Impfquote rund 57 Prozent) teilweise Krankenhäuser angreifen oder das Personal im Supermarkt anpöbeln, kritisiert Õhtuleht:
„Ein Teil der Bürger hat entschieden, für seine Rechte grob und unhöflich zu kämpfen. Schreiend und strampelnd. Diese schreiende Minderheit versteht nicht, dass es im Grundgesetz keinen Artikel gibt, der zum Geschrei aufruft. Wenn einem in der jetzigen Lage irgendeine Anforderung des Staates nicht gefällt, dann muss man höflich handeln, um es zu ändern. Man darf aber nicht gesetzestreue Mitbürger grob beschimpfen.“
Die Vernünftigen müssen die Stimme erheben
Nur weil die Unwissenden oft lauter sind, dürfen sie nicht die Überhand gewinnen, warnt Volkskrant-Kolumnist Erdal Balci:
„In den Niederlanden wollen 20 Prozent keine Impfung. In Ländern wie Russland oder Rumänien verweigert sogar mehr als die Hälfte der Menschen dieses jüngste Juwel der Wissenschaft. Der primitive Drang ist stärker als das zivilisierte Argumentieren. Wenn das so weiter geht, werden viele Kulturen beherrscht von den Horden, die ihre Unwissenheit, ihren Simplizismus und Aberglauben der ganzen Menschheit überstülpen wollen. Diese Kolumne ist eine Warnung an die meist zurückhaltenden und stillen Menschen der Vernunft. Es wird Zeit, die Stimme zu erheben. Werdet aktiv, überzeugt eure Lieben! Tut etwas!“