Virginia verloren: US-Demokraten im Sinkflug?
Der Republikaner Glenn Youngkin hat ersten Auszählungen zufolge die Gouverneurswahl im US-Bundesstaat Virginia gewonnen. Das Ergebnis gilt als wichtiger Stimmungstest für die Midterm-Wahlen in den USA im kommenden Jahr: Verlieren die Demokraten dann ihre hauchdünne Senatsmehrheit, hat Joe Biden kaum noch Chancen, seine Regierungsvorhaben umzusetzen. Entsprechend groß ist die Aufmerksamkeit in Europas Presse.
Inflation drückt auf Bidens Beliebtheit
Iswestija sieht neben Corona und dem Afghanistan-Debakel noch weitere Gründe für die sinkenden Zustimmungswerte Bidens und der Demokraten:
„Hinzu kommen die Probleme mit der Annahme des Bundeshaushalts im Kongress und die auf - für die USA ungewohnt hohe - 5,4 Prozent hochgeschossene Inflation. ... Bekanntlich stimmen die Amerikaner mit dem Geldbeutel ab - und zum Jahrestag des Demokraten-Siegs sind die USA in einem Zustand, der weit vom versprochenen Wohlstand entfernt ist. Noch ist es keine Katastrophe, aber auch unter Trump lavierte man nicht am Rande des Abgrunds. ... Der Demokrat hat es geschafft, aus eindrucksvoller Höhe auf das [Beliebtheits-]Niveau seines Vorgängers abzustürzen. Wieder zurückzukehren, wird schwierig.“
Schädliche interne Grabenkämpfe
Ein weiteres Problem der Demokraten sind sie selbst, ärgert sich Avvenire:
„Die Schmach, die ihm [Biden] von dem Senatoren-Duo Joe Manchin und Kyrsten Sinema zugefügt wurde, die seinen Plan für wirtschaftliche, soziale und ökologische Reformen erst sabotierten und dann buchstäblich in Stücke zerrissen. Wohlgemerkt: Beide sind Demokraten, keine Republikaner. ... Joe Biden kann die Zügel einer zänkischen und gespaltenen Partei nicht in der Hand halten, die versucht, radikale Spitzen wie Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez mit erfahrenen und gemäßigten Balance-Politikern wie Nancy Pelosi in Einklang zu bringen. ... Das Ergebnis: Die Demokraten verlieren an Boden und die Umfragen bestätigen den fast senkrechten Fall der Popularität des Präsidenten.“
Keine Katastrophe
Die Niederlage sollte nicht überbewertet werden, findet The New Statesman:
„Die Partei im Weißen Haus hat in Virginia seit den 1970er Jahren nur eine Gouverneurswahl gewonnen. ... Und anderswo sind die Neuigkeiten für Demokraten weniger trostlos. Die Progressiven werden sich mit der Wahl von Michelle Wu, einer Kandidatin des Green New Deal, trösten. ... Wu wird die erste Frau und erste asiatisch-amerikanische Bürgermeisterin Bostons sein. Und die Zwischenwahlen sind noch ein ganzes Jahr entfernt. Mit anderen Worten: Die Demokraten sollten erkennen, dass sie zwar das Haus des Gouverneurs, aber nicht alle Hoffnung verloren haben. Um diese Hoffnung wieder zu entfachen, müssen sie den Amerikanern mehr bieten als 'nicht Trump'.“
Zukunft liegt in gemäßigter Haltung
Glenn Youngkin hat mit einem deutlich weniger aggressiven Wahlkampf als Trump gesiegt. Dass die Republikaner dauerhaft auf diese bessere Strategie setzen, hält Le Temps aber für unwahrscheinlich:
„Denn Donald Trump bleibt - Umfragen bestätigen das - für die Partei eine ideale Wahlkampf- und Finanzierungsmaschine trotz seiner (zahlreichen) Skandale. Und wirkt übrigens lähmend: Die Maxime 'Wenn er antritt, trete ich nicht an' gilt auch bei den wenigen Republikanern, die keine Trump-Anhänger sind und geneigt wären, sich ins Rennen um das Weiße Haus zu stürzen. … Eine Wandlung der Republikanischen Partei ist jedoch unerlässlich, damit die Grand Old Party wieder eine sowohl starke als auch die demokratischen Regeln einhaltende Formation wird.“