Russland: Wozu führt der Exodus westlicher Firmen?
Hunderte westliche Unternehmen haben in Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine ihre Russland-Geschäfte eingefroren oder ihren Rückzug angekündigt. Der Kreml reagierte zunächst mit der Drohung, solche Firmen zu bestrafen oder zu enteignen und zu verstaatlichen. Zuletzt kamen versöhnlichere Töne. Die Folgen des Rückzugs westlicher Konzerne bewerten Kommentatoren höchst unterschiedlich.
Gemeinsame Interessen wahren
Dass nach den sehr schroffen Drohungen in den vergangenen Tagen versöhnlichere Töne aus dem Kreml kamen, freut Radio Kommersant FM:
„Der Wind hat spürbar gedreht: ... Es gibt noch immer so etwas wie gesunden Menschenverstand. Es geht schließlich um zehntausende Arbeitsplätze für die eine Seite und um Milliardenverluste für die andere - also gemeinsame Interessen. ... Natürlich kann es noch anders kommen, aber aktuell sehen wir, dass es 'oben' die Absicht gibt, zivilisierte Spielregeln zu bewahren. Es wäre wünschenswert, würde sich dieser Ansatz nicht nur in der Wirtschaft durchsetzen. Obgleich klar ist, dass es einen unwiderstehlichen Drang gibt, mit Vertretern eines feindseligen Westens hart ins Gericht zu gehen.“
Marktlücken werden schnell geschlossen
Die weggehenden Firmen schaden vor allem sich selbst, meint Iswestija:
„Die Erfahrung zeigt: Wenn irgendeine westliche Marke abzieht, nimmt sogleich eine andere ihren Platz ein, die nicht schlechter (wenn nicht sogar besser) ist. So ist eben der Markt. Berücksichtigt man, dass die westlichen Länder schon lange nicht mehr mit (hauptsächlich aus Asien kommenden) Waren handeln, sondern nur mit Marken, wird die Lage gänzlich absurd. Die aktuellen Sanktionen beeindrucken zwar durch ihren Umfang und ihre Undurchdachtheit: Doch ganz offensichtlich leiden darunter vorrangig die westlichen Firmen. ... Ein Beispiel: Visa und Mastercard kooperieren nicht mehr mit russischen Banken. Ihre Stelle nimmt umgehend das chinesische Union Pay ein.“
Bitte nicht wieder West-Imitate
Ob die Produktion nach einer Enteignung mit gleicher Qualität fortgesetzt werden würde, bezweifelt Webcafé in ironischem Unterton:
„Große internationale Unternehmen produzierten bis vor Kurzem noch in Russland, was hindert also die Russen daran, diese Produktion fortzusetzen? Der einzige Unterschied wäre, dass am Ende des Fließbands von nun an neu geschlüpfte russische Marken entstehen sollen. So wie damals die sowjetischen Computer, die dem Design von IBM ähneln sollten, was natürlich nicht ganz gelang. Was hält die Russen davon ab, diese Tradition wieder aufleben zu lassen und sich im alten Sowjetstil ehemals westliche Waren einzuverleiben? Schließlich sprechen wir von einem Land, das die modische Kombination aus Trainingsanzug, Lederschuhen und Schieberkappe erfunden hat.“