Was heißt Macrons Sieg für Frankreich und Europa?
Emmanuel Macron bleibt Frankreichs Präsident. Bei der Stichwahl lag er mit 58,55 Prozent deutlich vor seiner extrem rechten Herausforderin Marine Le Pen (41,45 Prozent). Der Abstand fiel jedoch geringer aus als beim Duell vor fünf Jahren. Europas Presse kommentiert das Ergebnis auch in Hinblick auf die im Juni anstehende französische Parlamentswahl.
Hehre Ziele zum Greifen nah
Mit seinem neuen Mandat wird Macron nicht nur Frankreich, sondern auch Europa neu gestalten, glaubt Financial Times:
„Wenn Macron damit Erfolg haben wird, wird die EU aus seiner zweiten und letzten Amtszeit als große geopolitische Macht hervorgehen, die auf Augenhöhe mit China und den USA ist. Das Ziel, eine europäische Supermacht zu schaffen, mag noch weit entfernt und etwas wahnhaft erscheinen, aber die Umstände dafür, dass Macron seine Vision vorantreiben kann, sind besser denn je. In seiner ersten Amtszeit stand Macron häufig im Schatten von Angela Merkel. Ihr Nachfolger ist nicht charismatisch und hatte einen wackligen Start. Mit dem durch die Wiederwahl gestiegenen Prestige wird Macron versuchen, seine Ideen und seine Dynamik für die EU einzusetzen.“
Macrons Probleme fangen jetzt erst an
Der Manövrierraum des alten neuen Präsidenten ist angesichts der Parlamentswahl im Juni klein, meint NRC Handelsblad:
„Nicht umsonst lancierte der hart-linke Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon am Sonntag die Kampagne für das, was er die 'dritte Wahlrunde' nennt. Mit einer linken Mehrheit, am liebsten mit ihm als Premier, will er Macron zu einem Kurswechsel zwingen. Ein stärkeres Parlament, in dem die Regierung Mehrheiten suchen muss, könnte Macron zu einem weniger vertikalen Führungsstil zwingen. Um die 'neue Ära', die Macron ankündigte, weniger stark der alten ähneln zu lassen, muss die Kluft zwischen den zwei Frankreichs verringert werden.“
Ein Ausnahmepräsident
Macrons Wiederwahl ist historisch, jubelt L'Opinion, und unterscheidet sie von der François Mitterrands und Jacques Chiracs:
„Beide hatten eine schmerzhafte Phase der Cohabitation hinter sich, während der sich ihr politischer Gegner so abgenutzt hatte, dass er unterlag. Die Geschichtsbücher werden daher festhalten, dass er ins öffentliche Leben hineingestolpert war und sich zum Präsidenten küren ließ, ohne je zuvor in ein Amt gewählt worden zu sein; dass er eine politische Bewegung gegründet hatte, um in nur wenigen Monaten die Feudalherren zu verjagen, die sich seit Jahrzehnten Eigentümer des Parteilebens glaubten; dass er jünger als jeder anderer vor ihm ins höchste Amt im Staat gelangte; dass er das Unmögliche geschafft hat: als Einziger auf diese Art ein zweites Mal die Stimmen der Franzosen zu erobern.“
Harte Prüfung im Juni
Nach der Wahl ist vor der Wahl, gibt Irish Independent zu bedenken:
„Der französische Präsident steht nun vor einem harten Kampf, um die notwendige parlamentarische Mehrheit bei den Parlamentswahlen zu gewinnen, die in zwei Runden am 12. und 19. Juni abgehalten werden. Macrons Partei, La République en Marche!, die erst 2017 von ihm gegründet wurde, ist im Land nur lückenhaft organisiert und in vielen Regionen und Orten überhaupt nicht verwurzelt. Es besteht die große Gefahr, dass er auf Parlamentarier der strammen Linken oder Rechten angewiesen sein wird, um seine Regierung in Paris führen zu können. Das erhöht das Risiko einer chaotischen und richtungslosen Amtszeit, die bei den Franzosen unter dem Begriff 'Kohabitation' bekannt ist.“
Unbehagen noch nicht überwunden
Der Erleichterung über den Wahlsieg von Präsident Emanuel Macron müssen spürbare Verbesserungen für die Bürger folgen, meint De Morgen:
„Macron II. wird einen anderen Ton finden müssen als Macron I. Weniger Jupiter im tiefsten Innern und mehr Vater des Vaterlandes. In seiner ersten Amtsperiode hat der Präsident sein Land auf einen modernen Kurs bekommen, jetzt muss er beweisen, dass dieser Kurs auch ausreichend Glück und Wohlstand bringt für so viele Franzosen wie möglich. Davon sind viele seiner Mitbürger noch nicht überzeugt. Ein erster Test folgt im Juni, wenn Frankreich ein neues Parlament wählt. Die Herausforderung ist groß. ... Es muss eine sehr hohe Barriere des Unbehagens überwunden werden.“
Die EU als Lösung
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung lobt Macron für das Festhalten an der EU im Wahlkampf:
„In der Konfrontation gegen eine erschütternd große Gruppe verhärteter Rechtsradikaler und eine noch größere Gruppe von Unzufriedenen in deren Windschatten hat Macron sein Heil nicht in taktischer Europaskepsis gesucht, wie es so viele europäische Politiker in ähnlicher Bedrängnis taten. Vielmehr hat er den Schneid besessen, für die EU als Lösung der Globalisierungsprobleme zu werben, sowohl der materiellen als auch der identitätspolitischen.“
Europa braucht ihn
Politiken ist erleichtert und sieht viele Herausforderungen für Macron:
„Große Aufgaben warten auf ihn. Mit der orientierungslosen deutschen Regierung ist klar, dass die EU Emmanuel Macron braucht, damit er sie gegenüber Russland zusammenhält. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz ist dieser Aufgabe offensichtlich nicht gewachsen, und es bedarf auch einer französischen Führungsrolle bei der Entwicklung der europäischen Verteidigungsdimension, in die Dänemark hoffentlich eintritt. ... Die diesjährige Präsidentschaftswahl war [aber] nicht nur erfreulich, sondern auch ein gesellschaftspolitischer und demokratischer Weckruf.“
Normalbürger interessiert vor allem ihr Portemonnaie
Nicht die Furcht vor Radikalisierung hat Macron über Le Pen siegen lassen, meint Jutarnji list:
„Wir und der Rest Europas sollten uns nicht täuschen: Für die Franzosen war es wichtig, aber nicht entscheidend, dass ein Sieg von Le Pen mindestens eine Distanzierung von der EU bedeuten würde, die sich im Guten und Schlechten auf die Achse Paris-Berlin verlässt - oder gar den Tod der Union und ein Abrutschen Europas in nationalistische Konflikte, die schon zwei Weltkriege auslösten und in der Ukraine mit dem dritten drohen. ... Den Franzosen war wichtiger, unter wessen Regierung sie in der aktuellen Wirtschaftskrise weniger leiden. ... Die Normalbürger interessiert, ob die Inflation ihre Ersparnisse frisst, ihre Löhne, Renten oder Sozialhilfe.“