Wieder tödlicher Amoklauf in den USA
Bei einem Amoklauf an einer texanischen Grundschule in Uvalde hat ein 18-Jähriger am Dienstag 19 Kinder und zwei Erwachsene getötet. US-Präsident Biden zeigte sich geschockt und forderte verschärfte Waffengesetze. "Ich habe es satt. Wir müssen handeln", sagte er. Ex-Präsident Trump forderte hingegen mehr statt weniger Waffen. Kommentatoren beklagen verschobene Maßstäbe auf mehreren Ebenen.
NRA profitiert von der Angst
Amokläufe wie in Texas kommen der Waffenindustrie in vielen Fällen zugute, konstatiert Le Temps:
„Tragödien wie diese lösen als Kollateraleffekt oft einen Anstieg von Waffenverkäufen aus, wie eine Art Pawlowschen Reflex vor der Angst. Das Drama in Uvalde wird wahrscheinlich keine Ausnahme darstellen. So versteht man besser, warum es die mächtige NRA, die unter ihrem goldenen Panzer von internen Machtkämpfen und Betrugsaffären geplagt wird, nicht für notwendig befunden hat, ihr Treffen abzusagen, das bis Sonntag wenige Autostunden vom Ort der Schießerei stattfand. 1999 hatte sie übrigens ihre Messe am Tag nach dem Drama an der Columbine High School (15 Tote, darunter die beiden Mörder) veranstaltet.“
Der Zynismus der Waffenlobby
Die Kleine Zeitung weist auf Widersprüche in Trumps Auftritt bei der Waffenlobbyorganisation NRA hin:
„Das republikanische Aushängeschild Donald Trump sieht die Lösung darin, dass Lehrer bewaffnet und Schulen Hochsicherheitszonen mit Metalldetektoren und Securitys an den Eingängen sein sollten. So stellt man sich die Volksschule für seine Kinder vor. Der Ex-Präsident, der wiedergewählt werden möchte, findet auch, 'waffenfreie Zonen seien die gefährlichsten Orte'. Welch Zynismus: Er sagte das bei der Jahrestagung der National Rifle Association (NRA), der mächtigen Waffenbefürworter - in der Halle waren Waffen ausdrücklich nicht erlaubt.“
Branche darf nicht ungestraft davonkommen
Wie die Hersteller von Schusswaffen in den USA in die Verantwortung genommen werden könnten, erklärt Financial Times:
„Wenn schon auf staatlicher politischer Ebene nichts passiert, so könnten doch Aktionäre Druck auf Waffenhersteller und Einzelhandelsgeschäfte ausüben, damit sich diese verantwortungsvoller verhalten. Einzigartig ist zudem, dass die Waffenindustrie rechtlich immun gegen die Auswirkungen ihrer Produkte ist. Man stelle sich vor, Pharmaunternehmen wären vor den Folgen schädlicher Medikamente oder Autohersteller vor den Folgen schadhafter Motoren geschützt. Die gleichen Regeln müssen für Smith & Wesson, American Outdoor Brands und andere Waffenhersteller gelten.“
Mal eben schnell zum Shoppen gehen
Was für ein Kinderspiel der Waffenkauf in den USA ist, erläutert Corriere della Sera:
„Der Täter wurde am 18. Mai 18 Jahre alt. Das Erste, was er als Volljähriger tat, war, in ein Geschäft zu gehen und zwei halbautomatische Gewehre und eine Handfeuerwaffe zu kaufen. Nichts leichter als das in Texas und vielen anderen US-Bundesstaaten. Es genügt, sich auszuweisen, ein Formular auszufüllen, das niemand überprüft, und natürlich zu bezahlen. ... Ein halbautomatisches Maschinengewehr vom Typ Ar-15, mit dem in der Robb Elementary School in Uvalde 19 Schüler und zwei Lehrer niedergemäht wurden, kostet etwa 350 Dollar. So viel wie ein Mobiltelefon. Um eine Flasche Bier zu kaufen, muss man in Texas über 21 sein. Bei Waffen und Munition nicht.“
Soziale Ursachen bekämpfen
Delo fordert mehr Prävention, damit Massenmorde verhindert werden:
„Die amerikanische Gesellschaft muss über eine effektivere Hilfe für die Familien und die Umgebung, in der Massenmörder heranwachsen, nachdenken. So wie zahlreiche vor ihm war der Mörder aus Texas ein Opfer von Erniedrigungen durch seine Altersgenossen und kam aus sehr schlechten familiären Verhältnissen. ... Bis derartige Taten effektiver verhindert werden, werden den Menschen weltweit die Bilder von verzweifelten Eltern in Erinnerung bleiben, die in Erwartung ihres schlimmsten Albtraums zur Schule gerannt sind, wie auch das Bewusstsein, dass wir durch den gewaltsamen Tod eines jeden Menschen auch einen Teil von uns selbst verlieren.“
Eine Kultur der Angst regiert
Imerodromos untersucht die Werte, die die US-amerikanische Gesellschaft prägen:
„Was ist das denn für eine Gesellschaft, in der bei einer Bevölkerung von 325 Millionen Amerikanern die Zahl der Waffen in den Haushalten auf über 350 Millionen (!) geschätzt wird, also mindestens eine Waffe für jeden Amerikaner, unabhängig vom Alter! … Es handelt sich offensichtlich um eine Gesellschaft, die von der 'Kultur der Angst' durchdrungen ist. … Von ungezügeltem Individualismus. Dies ist eine Gesellschaft der Verherrlichung der 'Macht' und der Durchsetzung des 'Rechts des Stärkeren'. Eine Gesellschaft des rücksichtslosen Wettbewerbs und der reaktionären Gewalt als Mittel der Selbstbehauptung.“
Makabres Scheitern der Regulierung
El País ist baff angesichts der politischen Unfähigkeit der USA:
„Ein kompliziertes und seit Langem bestehendes Interessengeflecht zwischen der Waffenindustrie und der Politik verhindert eine weitreichende Gesetzesreform. ... Die Waffenlobby wird unverhohlen mit der republikanischen Partei identifiziert, aber die Demokraten haben es in der Vergangenheit nicht gewagt, das Thema anzusprechen, das sich vor allem in ländlichen Gegenden quer durch alle Schichten zieht. ... Die Polarisierung der USA in diesem Jahrhundert hat diese perverse Dynamik nur noch verschärft. ... [Es gibt] keine nennenswerte politische Bewegung, die verhindert, dass das makabre Ritual des Scheiterns der Waffenregulierung von vorne beginnt.“
US-Waffenrecht in Polen wäre Horrorvorstellung
Bogusław Chrabota, Chefredakteur der Rzeczpospolita, hat kein Verständnis für das liberale Waffenrecht in den USA. Er warnt davor, es in Polen zu lockern, wo der Krieg in der Ukraine Rufe danach hat ertönen lassen:
„Wie viele solcher Massaker wird es noch geben, bevor sich der US-Kongress ernsthaft mit dem Thema befasst? … Möglicherweise braucht es eine Tragödie vom Ausmaß des 11. Septembers (die ich dem amerikanischen Volk nicht wünsche), damit diese Gesellschaft zur Besinnung kommt. … Währenddessen unterstütze ich Einschränkungen im Zugang zu Schusswaffen in Polen voll und ganz, getrieben von der Horrorvorstellung, dass alle polnischen Gangster statt Küchenmessern und Äxten gefährlichere Waffen wie Maschinenpistolen in die Hände bekommen. Das wäre ein echtes Chaos. Es jagt einem einen Schauer über den Rücken.“