Ukraine-Besuch: Reichen die Hilfsversprechen aus?

Bundeskanzler Scholz, Frankreichs Präsident Macron, Italiens Premier Draghi und Rumäniens Präsident Iohannis haben bei ihrem Besuch in der Ukraine klare Worte der Solidarität gewählt. Sie versprachen Unterstützung, solange diese nötig sei. Präsident Selenskyj sprach von einem "historischen Tag" für sein Land. Kommentatoren erwarten aber mehr.

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De Volkskrant (NL) /

Scholz auf Irrfahrt

Nach dem Besuch von Scholz in Kyjiw ist die Beziehung zwischen Deutschland und der Ukraine noch nicht entspannt, sondern folgt einem Muster, analysiert De Volkskrant:

„Wenden, Zögern, noch einmal Umkehren und wieder Drehen. ... Die Frage ist dann auch, ob Scholz' Versprechen und Zusagen die Ukrainer noch erweichen können. Der Kanzler versprach am Donnerstag in Kyjiw langfristige finanzielle und humanitäre Unterstützung 'und ja, auch Waffen, solange es für den Unabhängigkeitskampf der Ukraine nötig ist'. Aber wenn seine Zusagen nicht schnell konkreter werden, ist das Risiko groß, dass der ukrainische Botschafter in Berlin in Kürze per Tweet die auftauende Beziehung ins Gefrierfach zurückschiebt.“

Spotmedia (RO) /

Mehr als Heldentum nötig

Waffenlieferungen müssten nun folgen, heißt es in Spotmedia:

„Wenn der Besuch der europäischen Staats- und Regierungschefs in Kyjiw zu einer Änderung des Umgangs mit den Waffenlieferungen führt, können wir hoffen, dass sich die Front in der Ostukraine zu unseren Gunsten neu formiert. Der Ausgang des Kriegs hängt nicht nur vom Heldentum der Soldaten ab, die Sjewjerodonezk verteidigen, sondern wird entscheidend von den Waffenlieferungen abhängen, die Europa der Ukraine zur Verfügung stellen kann, damit sie den Eroberer demütigt.“

La Repubblica (IT) /

Über Verhandlungen wird nicht gesprochen

Leider wurde das Thema des Beginns möglicher Friedensverhandlungen ausgeklammert, klagt La Repubblica:

„Die Ukrainer hatten schon vor dem Besuch der drei [sic] Europäer in Kyjiw abwehrend die Hände erhoben, weil sie befürchteten, unter sie benachteiligenden Bedingungen an den Verhandlungstisch gedrängt zu werden: eine Kopie von Minsk, wie sie deutlich machten. Allerdings sagte Selenskyj vor einiger Zeit, dass eine Rückkehr zur territorialen Situation vor dem 24. Februar ein wichtiger, wenn auch nicht der endgültige Sieg für die Ukraine wäre. Könnte das der Wendepunkt für Russland sein, das vor dem Krieg ein Drittel des Donbass kontrollierte und nun fast die gesamte Region unter seiner Kontrolle hat?“

Wiener Zeitung (AT) /

Strategische Position stärken

Die bestmögliche Unterstützung mit Waffen sowie der Kandidatenstatus sind alternativlos, meint die Wiener Zeitung:

„Eine Aufrüstung der Ukraine erhöht die Abschreckungswirkung. ... Und die nun vom europäischen Quartett in Kiew offen ausgesprochene EU-Beitrittsperspektive für die Ukraine ist das Versprechen, das die EU der Regierung in Kiew schon seit dem Maidan von 2014 schuldet. Kriege enden üblicherweise mit einer Kapitulationserklärung, einem Waffenstillstands- oder einem Friedensabkommen. Nun geht es darum, die strategische Position der Ukraine zu stärken - Waffenlieferungen und die EU-Beitrittsperspektive sind dabei wichtige Bausteine.“

Polityka (PL) /

Polens Platz in der Hackordnung

Polityka fragt sich, weshalb kein polnischer Vertreter zu der Reise eingeladen wurde:

„Vielleicht ist das die Retourkutsche von Macron und Scholz dafür, dass die PiS versucht hat, sie als zu weich gegenüber dem Schlächter von Butscha bloßzustellen? Auf jeden Fall hat sich wieder einmal gezeigt, welchen Platz Polen in der Hackordnung der EU einnimmt oder, einfacher ausgedrückt, dass Kaczyński, der Morawieckis Angriffe auf Macron tolerierte und selbst wieder Deutschland angreift, kein glaubwürdiger Partner für die Mächtigen ist, obwohl Polen für seine Haltung zum Krieg in der Ukraine gelobt wird. Anstelle von Duda haben die Organisatoren des Besuchs den rumänischen Präsidenten gewählt, der in Washington einen guten Ruf genießt und die 'neue' EU repräsentiert.“

La Stampa (IT) /

Nur Biden und Putin können etwas tun

Ein löblicher Versuch, leider ohne jede Chance, kommentiert Lucio Caracciolo, Experte für Geopolitik, lakonisch in La Stampa:

„Das Ende dieser Kriegsphase wird nicht von den Europäern auf der einen oder anderen Seite entschieden werden. Dies wird einzig durch den direkten Dialog zwischen den USA und Russland geschehen. … Bislang kann man nur eine gewisse Kriegsmüdigkeit auf amerikanischer Seite erkennen und eine ebenso offensichtliche Anmaßung Russlands, weit über den Donbas hinausgehen zu können. ... Eines ist gewiss: Dieser Konflikt ist so tief, dass er jederzeit in unkontrollierbare Dimensionen abgleiten kann. Der Gedanke, dass wir wenig dagegen tun können, tut weh. Es tut noch mehr weh, wenn wir denken, dass wir das Spiel beherrschen.“

Gordonua.com (UA) /

Was hinter den Kulissen laufen könnte

Viktor Andrjusiw vom Thinktank Ukrainian Institute for the Future glaubt, dass es eine Absprache zwischen Scholz und Putin gibt, wie er auf gordonua.com schreibt:

„Da die russischen Truppen es sich leisten können zu warten und wir in der Zwischenzeit wirklich wenig von unseren 'Verbündeten' bekommen, bin ich geneigt zu glauben, dass es eine informelle Vereinbarung zwischen Scholz und Putin gibt. Das Wesen dieser Vereinbarung besteht darin, dass Putin Scholz versprochen hat, an der Grenze der Regionen Luhansk und Donezk Halt zu machen. Der Aufschub von Waffenlieferungen ist die maximale Unterstützung für die russische 'Operation', da es der Mangel an Waffen auf unserer Seite ist, der es ihnen ermöglicht vorzurücken.“

Lidové noviny (CZ) /

Pathos und Realität

Selenskyj hat sich am Mittwoch in einer Videoansprache vor beiden Häusern des tschechischen Parlaments für die Hilfe für die Ukraine bedankt, was Lidové noviny so kommentiert:

„Es ist meist sinnvoll, unter die Decke des Pathos zu schauen. Natürlich geht es auf dem Schlachtfeld um europäische Werte. Aber vor allem um Dinge wie Souveränität, die Unverletzlichkeit der Grenzen und um die Verteidigung des Staats. ... Auch Premier Petr Fiala setzt auf Pathos, wenn er sagt, der Krieg müsse so schnell wie möglich mit einem Sieg der Ukraine enden. Wenn der Krieg bald enden soll, wird er mit einem Kompromiss enden müssen. Wenn die Ukraine siegreich sein soll, wird das nicht so bald erreichbar sein. So ehrlich müssen wir sein.“

NRC (NL) /

Europa darf sich nicht an den Krieg gewöhnen

NRC Handelsblad warnt angesichts von Problemen wie Energiekrise und Inflation vor Kriegsmüdigkeit:

„Es sind keine Kleinigkeiten, aber ein verengter Blick [auf diese Probleme] trägt bei zum Abbröckeln der Einmütigkeit. Vielleicht ist das genau das, was Putin will. ... Dass im Krieg nach fast vier Monaten militärisch gesehen eine Pattsituation entstanden ist mit zwei ermüdeten und ausgedünnten Armeen an beiden Seiten einer langen Front, macht die täglichen Grausamkeiten, die sich auf dem Gebiet der Ukraine abspielen, kein bisschen weniger abstoßend. Auch wenn der Kontinent zur Zeit auf verschiedenen Ebenen mit außergewöhnlichen Sorgen geplagt wird, darf Europa sich nicht an diesen Krieg gewöhnen.“

Rzeczpospolita (PL) /

Alles offen

Für Rzeczpospolita gibt es zwei Möglichkeiten, wie das Gespräch ablaufen könnte:

„Das positive Szenario: Präsident Macron, Bundeskanzler Scholz und Premier Draghi kündigen massive militärische Unterstützung für die Ukraine an und sagen den Ukrainern, dass die EU nur darauf wartet, ihrem Land eine echte Mitgliedschaft zu gewähren, und nicht irgendeine Scheinmitgliedschaft. Es gibt aber auch ein negatives Szenario: Sie sagen Präsident Selenskyj, er solle doch bitte nicht mehr an die Rückeroberung von Mariupol denken, sondern sich langsam mit der Tatsache abfinden, dass der Frieden, auf den wir alle warten, einen Kompromiss erfordert, mit dem Putin sein Gesicht wahren kann.“

Frankfurter Rundschau (DE) /

Selenskyj reinen Wein einschenken

Klare Ansagen fordert die Frankfurter Rundschau:

„[Scholz] wird die Zusage für weitere schwere Waffen im Gepäck und ein klares Bekenntnis zur Ukraine auf den Lippen haben müssen. Zugleich wäre es angebracht, auf Selenskyj einzuwirken, dass die von ihm kurz vor dem Treffen als Kriegsziel angekündigte Rückeroberung der Krim derzeit nicht realistisch ist und möglichen Friedensverhandlungen im Wege steht. ... Scholz, Macron und Draghi müssen Selenskyj reinen Wein einschenken, was machbar ist und was nicht. Das betrifft sowohl die EU-Mitgliedschaft als auch die Frage neuer Waffenlieferungen und weiterer finanzieller Unterstützung.“

Radio Kommersant FM (RU) /

Potenzieller Wendepunkt

Radio Kommersant FM hält die Reise nach Kyjiw für potenziell schicksalsträchtig:

„Es gibt die hartnäckige Version, dass die hochrangigen West-Vertreter anreisen, um Selenskyj zum Frieden zu bewegen oder wenigstens zur Wiederaufnahme von Verhandlungen. Das ist wohl auch der Hauptgrund, warum die Reise noch platzen kann. Die ukrainische Seite gibt zu verstehen, dass sie nicht zu Zugeständnissen bereit ist, aber dennoch wird wohl irgendeine Kompromissvariante erörtert. ... Wie auch immer, jetzt ist ein gewisser Wendepunkt erreicht - es ist unklar, wohin das Pendel ausschlägt. Noch gelangen Waffen nicht en masse in die Ukraine, noch sind nicht alle Gasleitungen blockiert und alle Sanktionspakete verabschiedet.“

France Inter (FR) /

Macrons Kurskorrektur

Macron wird die Reise nach Rumänien, Moldau und in die Ukraine nutzen, um nach den irritierenden Worten zu Russland seine Haltung zu klären, glaubt Kolumnist Pierre Haski im Radiosender France Inter:

„In Rumänien, aber auch in Moldau dürfte der Präsident bezüglich des Engagements von Paris beruhigen. ... Es geht um den Platz und den Einfluss Frankreichs in Europa nach dem Ukraine-Krieg, denn der Elysée ist überzeugt, dass es bei dem Konflikt um mehr als um die Ukraine und Europa geht. Die Zweifel waren umso größer, als der Präsident anders als andere Europäer seit Beginn des Kriegs noch nicht in Kyjiw war. Diese Reise, allein oder zusammen mit den Regierenden Deutschlands und Italiens, wird notwendig, um Europa neu zusammenzuschweißen.“