Macron warnt vor Demütigung Moskaus
Macron hat in einem in mehreren französischen Regionalzeitungen erschienenen Interview davor gewarnt, dass eine Demütigung Russlands eine diplomatische Lösung im Krieg gegen die Ukraine behindern könnte, nachdem die Kämpfe beendet seien. Dabei betonte er, dass Frankreich dann eine vermittelnde Rolle spielen werde.
Paris sucht bloß einen Ausweg für Russland
Vitalij Bala, Direktor der Agentur zur Modellierung von Situationen, fürchtet im Fokus, der französische Präsident bediene russische Interessen:
„Leider hat Macron nicht präzisiert, was er mit der Demütigung Russlands meint. Vielleicht ging es darum, die Ukraine zum Frieden zu zwingen, um Russland nicht zu demütigen? Schließlich war er es, der angeboten hat, ukrainische Gebiete abzutreten. Und wenn Macron sagt, Frankreich sei zu einer Vermittlerrolle bereit, hat man den Eindruck, dass der französische Präsident nach einem akzeptablen Ausweg für Russland sucht, anstatt daran zu denken, den Aggressor zu bestrafen und ihn für die Gräueltaten und Grausamkeiten vor Gericht zu bringen.“
Nicht Putin in die Hände spielen
Macrons Einstellung ist gefährlich, warnt der frühere Geheimdienst-Chef des MI6, John Sawers, in der Financial Times:
„Die ukrainische Führung befürchtet, dass solche Kommentare ein Auftakt zu weiteren diplomatischen Verhandlungen sein könnten, die darauf abzielen, einen vorzeitigen Waffenstillstand zu erreichen, mit dem Putin sein Gesicht wahren und der auf Kosten der Ukrainer gehen würde. ... Wenn in einer neuen Verhandlungsrunde europäische Diplomatie Russland auf seinen Gebietsgewinnen in der Ukraine ruhen lässt, dann gewinnt Putin zu Hause an politischer Stärke und wird sich befähigt fühlen, künftig neue militärische Abenteuer zu starten. ... Ein vorzeitiger Waffenstillstand würde Putin helfen, einen Sieg aus einer drohenden Niederlage zu holen. Kein westlicher Führer sollte Wegbereiter dafür sein.“
Sibirische Kälte in Paris
Spotmedia verlegt sich auf Sarkasmus:
„Vielleicht sind die Worte an Kyjiw gerichtet, das die europäische Welt in eine Krise gestürzt hat, weil der ukrainische Präsident nicht auf die Krim und den Donbas verzichten wollte und nicht auf Frankreich und Deutschland beim beschämenden Normandie-Format gehört hat, das Herrn Putin bevorteilte. Vielleicht hat das Herrn Macron ja sehr verärgert, weil die Vermittlung von Paris ein Fiasko war und die Invasion nicht verhindern konnte, die nun den Gaspreis verteuert. … Wenn wir jetzt noch die Worte des französischen Außenministers hinzunehmen, dass die Ukraine erst in 15 Jahren Nato-Mitglied wird, ist klar, dass im Palast von Herrn Macron kein Mistral mehr bläst, sondern ein sibirischer Schneesturm.“
Spiel mit Menschenleben
Auf Lrt warnt die Politologin Rima Urbonaitė:
„Dieses Spiel von Macron und auch anderen Staatsführern wird immer bedrohlicher. Einerseits kann es eine Spaltung im westlichen Länderblock verursachen. Anderseits kann es noch mehr Leben kosten, wenn Russland die Aussage als Möglichkeit interpretiert, weitere rote Linien auszutesten. Wenn du mit einer Hand Sanktionen verhängst, mit der anderen aber eine mögliche Erniedrigung stoppen willst, wird dies in Russland als grünes Licht für weitere Provokationen interpretiert. ... Aber es scheint, dass Leben nicht gleich Leben ist. So viel zur Politik der Werte.“
Da wird einem übel
Der französische Präsident hat wohl zu viele therapeutische Gespräche mit Putin geführt, ärgert sich Sme:
„Schon bei dem Gedanken, bloß nicht die sensible Seele eines Barbaren zu treffen, der einen Nachbarn ausraubt und Zivilisten massakriert, dreht sich einem der Magen um. ... Man muss Macron wie auch slowakische Putinversteher daran erinnern, dass sich jeder, der eine diplomatische Lösung will, an Moskau wenden sollte, nicht an Kyjiw. Die Ukraine kann nicht mit Putin sprechen, bevor die Frontlinien nicht vor den 24. Februar zurückkehren. Das ist eine minimalistische Bedingung. Würde die von der Regierung in Kyjiw aufgegeben werden, verriete sie 93 Prozent der eigenen Bürger, die heute eindeutig die bewaffnete Verteidigung der ukrainischen Staatlichkeit unterstützen.“
Kein Staatsmann
Der französische Präsident predigt die Souveränität Europas, weigert sich aber, diese im entscheidenden Moment zu verteidigen, schreibt Politik-Analyst Sebastião Bugalho in Diário de Notícias:
„Es ist eine Sache, funktionierende Kommunikationskanäle zwischen dem Kreml und dem Westen aufrechtzuerhalten. Etwas ganz anderes ist es, inmitten eines Konflikts Appeasement zu betreiben. Der Mann, der Europa wieder mit Moskau verbinden und an der Seite Putins an der Gedenkparade für die Rote Armee teilnehmen wollte, und der bereits gezwungen war, seine Äußerungen zur territorialen Integrität der Ukraine zu berichtigen, sollte einen anderen Ton anschlagen. ... Die ersten hundert Tage des Kriegs haben einmal mehr gezeigt, dass Macron eher ein Mann der Konzepte ist und kein echter Staatsmann.“
Traum von ominöser Sonderrolle
Macron sprintet einem längst abgefahrenen Zug hinterher, kommentiert die Frankfurter Rundschau:
„Rettung der Welt durch französische Diplomatie - als müssten sich nur einige kluge Köpfe am Quai d'Orsay im Pariser Außenministerium ein paar neue Kompromisspapiere ausdenken, Minsk III oder IV oder V. Doch so läuft es leider nicht mehr. ... Eigentlich müsste Russlands Krieg die Stunde eines uneitlen Zusammenrückens aller europäischen Demokratien sein. Macron aber streicht nun eine ominöse Sonderrolle seines Landes als 'vermittelnde Macht' heraus - als sei Frankreich irgendwie anders als die anderen Länder, in besonderer Weise beseelt oder begnadet.“
Schlecht kommuniziert
Frankreichs Präsident hätte seine Haltung einleuchtender vermitteln müssen, bedauert Le Point:
„Diplomatie und Krieg können parallel eingesetzt werden, das ist nichts Neues. Die Gratwanderung hätte jedoch besser erklärt werden müssen. Es ist paradox, dass nun Frankreich, das am aktivsten eine europäische Verteidigung voranbringt und als einzige Nation auf dem Kontinent eine echte Armee hat, der Laxheit bezichtigt wird, die das Bestreben der EU in diesem Bereich zu Gunsten der Nato aushöhle. ... Ein Besuch Macrons in Kyjiw wäre sicher nützlich gewesen. Das hätte seinen - durchaus hörenswerten - Diskurs besser verständlich gemacht, demzufolge ein unbeugsames Engagement an der Seite der Ukraine heute einen nicht daran hindert, langfristiger zu denken.“
Ukraine nicht alleine lassen
Neben Macron spielt auch die Zeit für Putin, fürchtet Ilta-Sanomat:
„Nicht nur Frankreich sieht sich mit ungewissen Aussichten konfrontiert, denn zunächst wegen des russischen Angriffskriegs und dann wegen der Wirtschaftssanktionen sind die Energie- und Lebensmittelpreise in ganz Europa, auch in Finnland, gestiegen. Es besteht zunehmend die Gefahr, dass die steigenden Kosten des täglichen Lebens die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit - und damit auch der politischen Entscheidungsträger - von der Ukraine auf die Herausforderungen unserer eigenen Wirtschaft lenken. Deshalb darf die Ukraine nicht alleingelassen werden. Der Krieg muss beendet werden, bevor er - und die Notlage der Ukraine - in Vergessenheit gerät.“