Was ist los im Kosovo?
Die Nato stockt ihre seit 1999 im Kosovo stationierte KFOR-Schutztruppe auf, nachdem es in den vergangenen Tagen zu Ausschreitungen gekommen war. Hintergrund sind Kommunalwahlen vor einem Monat, die von der Mehrheit der ethnischen Serben im Norden boykottiert wurden, was zur Folge hatte, dass Kosovo-Albaner mit sehr wenigen Stimmen zu Bürgermeistern gewählt wurden. Ohne externe Hilfe wird sich die Region wohl nie beruhigen, fürchten Kommentatoren.
Sicherheit wichtiger als Eigenständigkeit
Die Entscheidung, die KFOR-Truppen aufzustocken, ist richtig, lobt Le Temps:
„Seit dem Ende des Krieges 1999 war dieses von einer serbischen Minderheit bewohnte Stück Land der Schauplatz von Spannungen. Zusammen mit Bosnien ist es ein Symbol für die Unfähigkeit, die Wunden der Jugoslawienkriege zu heilen. Diese Konflikte haben lange vor dem Krieg gegen die Ukraine eine ganze Generation von Europäern geprägt. … Die USA scheinen nun entschlossen, eine mögliche Eskalation zu verhindern, indem sie die Sicherheitsfragen wieder stärker in die Hand nehmen. Dies ist zweifellos eine gute Nachricht für die Region, auch wenn dadurch die Vormundschaft über das Kosovo verlängert wird.“
Geschenk für Putin
Das Hochkochen des Konflikts kommt zur Unzeit für den Westen, meint Die Presse:
„Strategisch gesehen ist der Balkan die weiche Südflanke der EU und der Nato. Nicht nur China versucht hier seit Jahren, seinen wirtschaftlichen und politischen Einfluss auszubauen. Vor allem Russland mischt politisch mit. … Für Russlands Präsidenten, Wladimir Putin, sind die Spannungen im Kosovo ein politisches Geschenk. … Das stärkste diplomatische Mittel in der Region wäre nach wie vor die Aussicht auf einen zeitnahen Beitritt zur EU. Doch das funktioniert offenbar nicht mehr so gut wie noch vor einigen Jahren – nicht in Belgrad und auch nicht in Pristina. Es wirkt mittlerweile wie ein Versprechen aus der Welt der Träume.“
Kurti muss einlenken
Deeskalieren ist die einzige Option, mahnt De Volkskrant:
„Kosovo ist nicht nur die schwelende Lunte im Pulverfass des Balkans, sondern auch weiterer Spaltpilz in den ohnehin angespannten internationalen Beziehungen. Das behutsame Lavieren, zu dem Premier Albin Kurti nicht imstande war, muss daher nun von den Zentralen der EU und Nato eingefordert werden. Deeskalieren ist die einzig mögliche Option. Der kürzeste Weg dazu führt über die Regierung von Kosovo, die militärisch und wirtschaftlich völlig vom Westen abhängig ist. ... Dort liegen die Chancen für die EU, den Druck zu erhöhen. Kurti zur Wiederholung der fehlgeschlagenen Bürgermeisterwahl zu bewegen, sollte dabei zunächst das wichtigste Ziel sein. “
Örtliche Politiker zu kurzfristig orientiert
Die Aussichten auf eine langfristige Stabilisierung stehen schlecht, meint Politologe Stefan Wolff in The Conversation France:
„Selbstverständlich erfordert die aktuelle Lage Deeskalationsmaßnahmen seitens der kosovarischen Behörden. Doch die tiefer liegenden Probleme der Beziehungen zwischen Priština und Belgrad erfordern eine umfassendere und integrativere Lösung, die den Interessen des Kosovos, Serbiens sowie der Serben im Kosovo Rechnung trägt. … Aufrufe zur Vernunft dürften Politiker dieses Teils des Westbalkans kaum beeindrucken, denn sie scheinen vollständig auf die Verteidigung ihrer persönlichen und kurzfristig ausgerichteten Interessen fokussiert. Daher ist es ungewiss, ob der Westen den nötigen Einfluss ausüben kann.“
In ständiger Erwartung eines Sturms
Die Lage wird sich für die Bewohner noch lange nicht bessern, kommentiert Delo:
„Die Menschen gehen mit gepackten Koffern zu Bett. ... Ihnen wurde schon vor langer Zeit klar, dass ihr Leben nur ein billiger Spielchip im geopolitischen Monopoly ist, das von einflussreichen Menschen irgendwo in der Ferne gespielt wird. … Es spielt keine Rolle, ob sie zur Mehrheit der Albaner, der bosnischen Minderheit oder zu den Serben zählen, sie führen kein friedliches Leben, wie wir es in der EU genießen. … Mitglieder der Nato-Friedenstruppe KFOR kümmern sich um die Situation, die sich nicht verschlechtert und leider auch nicht bessert, und jedes Mal, wenn die Behörden in Belgrad vor einer ernsthaften Herausforderung stehen, spüren die Serben im Norden des Kosovo die Konsequenzen.“
Status Quo auf Dauer unhaltbar
Europa hat den Konflikt allzu rasch abgehakt, klagt La Stampa:
„Kriege, die von ethnischem Zwist und Rachegelüsten geprägt sind, haben es nie eilig, der Vergangenheit anzugehören. Wir hingegen vergessen gerne 'die Details', oder zumindest das, was wir als solche ansehen möchten. Wir haben es eilig, zum nächsten Punkt der Tagesordnung überzugehen. War der Kosovo etwa keine erfolgreiche Nato-Operation? Hat das Bündnis im Moment nichts Wichtigeres zu tun, als sich mit kleinen Balkan-Streitereien abzugeben? … Die Aufrechterhaltung des Status quo, das Einfrieren von sektiererischen Ressentiments und Rachegelüsten: Das ist die Linie, die wir in diesem komplizierten und unruhigen Teil der Welt eingeschlagen haben. Doch leider lässt ihre Wirksamkeit im Laufe der Zeit nach.“
Eine Gemengelage, die verzweifeln lässt
An dem ungelösten Konflikt zwischen Serbien und Kosovo haben viele ihren Anteil, hebt die Frankfurter Rundschau hervor:
„[M]achtbewusste Politiker vor Ort, die Ressentiments geschickt befördern, um ihre eigenen Interessen zu bedienen. Eine uneinige EU, eine Staatengemeinschaft, die zwischen Zögerlichkeit und naiver Gutgläubigkeit schwankt. Und nicht zuletzt Russland, das sich eigene Einflusssphären sichern will und Unruhe in Europa etwas abgewinnen kann. Es ist eine Mischung, die verzweifeln lässt, weil sie so viele Möglichkeiten verbaut. Und weil sie leicht gefährlich werden kann.“
Kurti muss mehr Finesse zeigen
Der kosovarische Premier sollte etwas Flexibilität zeigen bei der Durchsetzung der Rechte der Kosovaren, mahnt Večernji list:
„Kurti und seine Regierung haben Grund, unzufrieden zu sein mit dem Nachgeben der westlichen Partner gegenüber Vučić. Doch gerade deswegen muss Kurti sich klüger anstellen und nicht den Eindruck zulassen, dass er als Premier des Kosovo ein größeres Problem ist als Vučić. Oder dass Priština Grund zu einer Eskalation der Gewalt gibt, während sich Belgrad scheinbar konstruktiv verhält. Schon lange wird das Kosovo vor dieser Falle gewarnt, doch ist dies nun eine sehr gefährliche Situation, in der Kurtis Dickköpfigkeit sehr schädlich für den Frieden und die Stabilität des ganzen Westbalkans sein könnte.“