AI Act: Ist der EU die Zähmung gelungen?
Das EU-Parlament hat gestern das weltweit erste Gesetz zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz beschlossen. Es ordnet Anwendungen verschiedenen Risikostufen zu. Als besonders riskant geltende Programme wie solche zur Gesichtserkennung sollen verboten und andere nur unter Auflagen erlaubt werden. Während einige Kommentaren die Entscheidung begrüßen, befürchten andere Überregulierung.
Das Tempo anziehen
Die EU muss einiges aufholen und endlich schnellere Gesetzgebungsverfahren entwickeln, meint Delo:
„In der Internet-Branche hat sie den Zug bereits verpasst, denn dort herrschen Unternehmen aus den USA und immer stärker aus China. Auch im KI-Bereich verläuft der Hauptkampf zwischen diesen beiden, die EU spielt nur in ihrem Schatten mit. … Eine effektive und glaubwürdige Regulierung der KI wird sicher dazu beitragen, das Vertrauen zu stärken. Das Problem ist, dass sich Dinge sehr schnell weiterentwickeln, die komplizierten gesetzgebenden Schritte jedoch immer hinterherhinken und immer Neuheiten auftauchen werden, die noch nicht reguliert sein werden. Auch die europäische Politik wird sich dem Zeitalter der KI anpassen müssen.“
Mehr Innovation vonnöten
Eine Regulierung allein reicht nicht aus, kritisiert Fabien Versavau, CEO des Internet-Unternehmens Rakuten France, in Le Figaro:
„Mit dem AI Act rühmt sich Europa eines Siegs: inmitten eines unvergleichlichen technologischen Hypes die erste Weltmacht zu sein, die eine KI-Regulierung entwirft. Vielleicht... Aber kämpfen wir nicht den falschen Kampf? Anstatt von vornherein zu regulieren, was die neue technologische Grenze zu sein scheint, sollte man nicht lieber die ganze europäische Energie in den Dienst einer offensiven und kreativen anstelle einer defensiven und normativen Strategie stellen? Ja, im Bereich der Technologie ist Regulierung und Schutz gut, doch Innovation und technische Errungenschaften sind besser.“
Hier tickt Europa richtig
La Repubblica freut sich:
„Europa schreibt bekanntlich viele Regeln. Zu viele, meinen einige, weshalb die Innovation anderswo stattfindet, in den Vereinigten Staaten oder in China. Aber bei der künstlichen Intelligenz, der Technologie, die alles zu verändern verspricht, sind es die Innovatoren selbst, die nach Regeln rufen. Und diesmal scheint die europäische Uhr gut zu ticken: Gestern gab das Straßburger Parlament grünes Licht für seine Version des KI-Gesetzes. ... Über den endgültigen Text wird nun mit den Regierungen verhandelt, mit dem konkreten Ziel, ihn bis zum Ende der EU-Legislaturperiode zu verabschieden. Damit wäre Europa die erste demokratische Macht, die eine Verordnung über KI hat.“
Zu heftiger Tritt auf die Bremse
Das Europaparlament drängt auf viel zu strikte Regeln, kritisiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Der Großteil der Anwendungen ist unbedenklich. ... ChatGPT ist keine Gefahr, wenn es Assistent bei Internetsuchen ist. Anders ist das, wenn KI über das Wohl von Menschen entscheiden, ob bei autonomem Fahren oder Kreditvergabe. Dann muss etwa sicher sein, dass sie mit soliden, nicht diskriminierenden Daten trainiert wurden. Dabei hätte es das EU-Parlament belassen sollen. Offenbar aber war der ChatGPT-Schock dann doch zu groß. Die Abgeordneten wollen generative KI unabhängig vom Einsatzgebiet umfassend auf Risiken überprüfen. Das ist exakt der Tritt auf die Bremse, den Europa nicht braucht. Hier muss die EU im Gesetzgebungsprozess dringend nachsteuern.“
Regulierungswut der EU behindert Fortschritt
Das neue Gesetz könnte eine schädliche Kaskade in Gang setzen, befürchtet Paweł Rożyński, Journalist bei Rzeczpospolita:
„Das Problem ist, dass das KI-Gesetz erst der Anfang ist. Die Entwicklung der künstlichen Intelligenz wird mit Sicherheit schneller voranschreiten als das Handeln der Gesetzgeber, was die Wirksamkeit der Vorschriften in Frage stellt. Sie werden ständig aktualisiert oder komplett geändert werden müssen, was zu einer Fülle neuer Gesetze führen wird. Ich fürchte, dass es Europa schwerfallen wird, seinen Drang, alles zu regeln, unter Kontrolle zu halten. Und die Folgen einer Überregulierung könnten für die Wirtschaft katastrophal sein, die durch künstliche Intelligenz auf eine ganz neue Ebene gehoben werden soll.“
Reichweite könnte ungenügend sein
RFI România hinterfragt die Wirksamkeit der Regelungen:
„Am unteren Ende der Pyramide stehen die Anwendungen, die potenzielle Risiken bergen. Die Hersteller dieser Anwendungen werden verpflichtet, sich selbst zu evaluieren und der europäischen Regulierungsbehörde alle hochgeladenen Algorithmen und technischen Daten zur Verfügung zu stellen. Diese Daten werden in eine europäische Datenbank fließen, die allen Nutzern zugänglich ist. So wird eine Person beispielsweise erfahren können, ob ein Werk, an dem es das Urheberrecht besitzt, für die Produktion von Inhalten mit KI verwendet wurde. … Doch sicher muss man sich auch die Frage stellen, ob solche nur auf europäischer Ebene gebilligten Rechtsvorschriften Folgen haben werden, solange die Anwendungen im Rest der Welt einfach so sehr gut funktionieren. “
Kein Grund zur Panik
Die Sorge vor der KI sollte nicht überbewertet werden, urteilt La Croix:
„Bevor wir uns der Panik hingeben, sollten wir uns an die Sorgen erinnern, die mit dem Aufkommen des digitalen Formats, des Internets, und natürlich schon lange davor, mit Computern und sogar der Eisenbahn einhergingen. ... Es ist normal - und letztlich auch ziemlich menschlich - dass das Aufkommen einer neuen Technologie, von der man annimmt, dass sie die Art und Weise, wie wir Dinge erschaffen, wie wir arbeiten oder miteinander sprechen, revolutioniert, Ängste hervorruft. Aber diese Angst ist nicht zwangsläufig schlecht: Sie kann uns dabei helfen, über die gute - und schlechte - Nutzung einer neuen Technik nachzudenken.“