Lässt Aserbaidschan Bergkarabach verhungern?
Im überwiegend von Armeniern bewohnten, aber innerhalb der international anerkannten Grenzen Aserbaidschans gelegenen Bergkarabach vollzieht sich eine humanitäre Katastrophe. Seit Monaten blockiert Aserbaidschan den Zugang zur Region, die von den armenischen Bewohnern als unabhängige Republik Arzach verstanden wird. Armenien fordert eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats. Europas Presse ist bestürzt und fordert Taten.
Kapitulieren oder sterben
Eine hoffnungslose Lage, empört sich La Repubblica bereits in einem Kommentar vom 14. August:
„Die Belagerung von Bergkarabach ist in ihre letzte Phase getreten. Die 120.000 Armenier, die in diesem Gebiet innerhalb Aserbaidschans leben, haben nur noch zwei Möglichkeiten: kapitulieren oder verhungern. … Mit dem Ende der Erntesaison wird auch das Wenige knapp, das der Bevölkerung noch das Überleben ermöglicht: eine begrenzte Menge an Obst und Gemüse, Brot, für das man stundenlang in der glühende Sonne ansteht. Ohne Öl, Salz und Zucker kann man keine Lebensmittel konservieren. Es mangelt an Medikamenten, Hygieneartikeln sowie an Produkten für die Babypflege und -ernährung. Strom gibt es nur wenige Stunden am Tag, was das Funktionieren der Wasserpumpen beeinträchtigt.“
Dringend eine Luftbrücke einrichten
Religionshistoriker Benoit Lannoo sieht in der Reise der belgischen Außenministerin in den Südkaukasus einen Hoffnungsschimmer und fordert in La Libre Belgique:
„Nur die internationale Gemeinschaft - die Uno und/oder die EU - können das Leid der Menschen in Stepanakert und Umgebung noch lindern. Der UN-Sicherheitsrat könnte zum Beispiel eine Luftbrücke errichten. … Unsere Außenministerin [Hadja Lahbib], die vom 21. bis 25. August in Georgien, Armenien und Aserbaidschan ist, könnte beispielsweise - in Absprache mit Frankreich und Spanien - die Initiative ergreifen, um die EU-Mission in eine echte Friedensmission zu verwandeln und den in Arzach verbliebenen 100.000 Armeniern eine Zukunft in ihrem angestammten Gebiet zu sichern.“
Die Würfel sind wohl bereits gefallen
Die Übergabe der Region an Aserbaidschan lässt sich vermutlich nicht aufhalten, meint Szabad Európa:
„2022 haben Baku und Jerewan mit den Verhandlungen angefangen, um eine endgültige Lösung für den Konflikt zu finden. Je weiter der Prozess voranschreitet, desto unausweichlicher scheint die Wiederangliederung Bergkarabachs an Aserbaidschan zu werden. ... Diese Position wird von verschiedenen Vermittlern in den Friedensgesprächen, darunter die USA, die Europäische Union und Russland, stillschweigend unterstützt.“
Schweigen der EU könnte mit Gas erkauft sein
Aus wirtschaftlichen Eigeninteressen kümmert sich Brüssel wenig um die von der Blockade Betroffenen, befürchtet openDemocracy:
„Baku verfolgt offenbar zwei Ziele: Die internationale Gemeinschaft davon überzeugen, dass es keine Blockade gibt, und gleichzeitig einen weiteren humanitären Druckmechanismus schaffen, um Karabachs Abhängigkeit von Aserbaidschan zu erhöhen. Trotz der eskalierenden Krise und der Menschenrechtsverletzungen gibt es kaum westlichen Druck auf Aserbaidschan. Das könnte darauf hindeuten, dass die EU die Pläne und Bedingungen Bakus für die Zukunft Bergkarabachs akzeptiert hat. Möglicherweise spielt der Gas-Deal zwischen Brüssel und Präsident Alijew eine Rolle. Das im Sommer 2022 abgeschlossene Abkommen erhöht die Liefermengen Aserbaidschans an die EU.“