Italien: Ein Jahr Giorgia Meloni
Seit einem Jahr ist Giorgia Meloni mit ihrer postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia Regierungschefin. Innenpolitisch sorgten unter anderem die Streichung von Bürgergeldzahlungen und eine erzkonservative Familienpolitik für Diskussion. Außenpolitisch gab sie sich gemäßigt. Die Presse zieht Bilanz.
Punkten mit Außenpolitik
Insbesondere im Inland ist nicht alles eitel Sonnenschein für Meloni, resümiert La Repubblica:
„Meloni hat mit einer noch nie dagewesenen Anzahl internationaler Missionen und der vorbehaltlosen Unterstützung der Ukraine in die Außenpoltitk investiert. Ein Schachzug, der aber bei den brennendsten innenpolitischen Fragen keine konkreten Ergebnisse gebracht hat. ... Die hohen Energiekosten und die Inflation schwächen die Kaufkraft, die Staatsverschuldung ist auf einem Rekordhoch. ... Die Märkte sind misstrauisch, auch wegen der Steuer auf die Extragewinne der Banken. ... Nun steht der Wahlkampf für die Europawahlen an. Er verheißt nichts Gutes und schürt die Ängste vor Instabilität.“
Zur Halbzeit null zu null
Corriere della Sera vergleicht die ersten zwölf Monate mit einem Fußballspiel:
„Trotz ihrer mangelnden Erfahrung in vielen Rollen hat die Regierung insgesamt gezeigt, dass sie auf der internationalen Bühne spielen kann. Doch nun beginnt die zweite Halbzeit, und das Publikum murmelt: 'Ich hatte mir mehr erhofft.' Tore hat sie keine geschossen, obwohl sie dies sowohl bei der Migration als auch in der Steuerpolitik versprochen hatte. Mit null zu null und Nullpunktwachstum kommt das Land nicht voran. So sieht man Meloni nach der Halbzeit der ersten zwölf Monate in Italien und im Ausland. ... Noch ist sie in Umfragen stark, auch dank des völligen Fehlens einer Alternative. Eine goldene Lage für die Regierung. … Aber sie wird nicht ewig halten.“
Bei Bedarf Richtung Mitte
Das zweite Amtsjahr dürfte schwierig für sie werden, prognostiziert der Italien-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Marc Beise:
„Es ist das Jahr der Europawahlen, im Juni 2024. Ihr Ziel, das sagt sie immer wieder, ist der Zusammenschluss der Rechten. ... Der Meloni-Clan braucht Verbündete. Früher hätte man gesagt, das sind natürlicherweise die Rechtsaußen in Ungarn und Polen. Aber so klar ist das nicht mehr. In Spanien, das Meloni kennt und mag, haben die Rechtsextremen die Wahl verloren. Zwar war sie neulich bei Viktor Orbán, dem alten Freund. Aber es kann auch sein, dass sie sich bei Bedarf mit einer Träne im Knopfloch Richtung Mitte orientiert, Anschluss an die konservative Parteienfamilie sucht, von der sie bisher auf Distanz gehalten wird. Die ganz rechte Flanke besetzt ohnehin bereits Salvini.“