Was hatte Putin im "Direkten Draht" zu sagen?
Zwei Jahre lang hatte der Kreml-Chef die traditionelle TV-Show mit Fragen von Bürgern und Journalisten ausfallen lassen. Am Donnerstag fand Der direkte Draht erstmals seit dem Großangriff auf die Ukraine wieder statt. Manch kritische Frage blieb aber unbeantwortet, wie Kommentatoren feststellen.
Nicht die Zeit für Veränderung
Radio Kommersant FM resümiert die Kernbotschaften ans Volk:
„Man kann nicht sagen, dass in unserem Land alles bestens steht, aber die Lage ist im Prinzip unter Kontrolle. ... Unser Kurs ist deshalb nicht in Zweifel zu ziehen. Es gibt Missstände und Ungereimtheiten, aber, werte Mitbürger, Sie sehen doch, was draußen abgeht. ... Es könnte noch viel schlimmer sein, gäbe es nicht unsere russische Staatsmacht, die die richtigen Maßnahmen ergreift. ... Es ist jetzt nicht die Zeit für Veränderungen und noch weniger für Reformen. Vielleicht wird sie nie kommen. Doch das ist nicht unsere Schuld, sondern die Schuld des feindlichen Umfelds. ... Unsere Aufgabe ist es, die Stabilität zu wahren.“
Neue Abhängigkeit und Krieg ohne Ende
Republic-Chefredakteur Dmitri Kolesow fasst in einem vom russischen Exilmedium Echo übernommenen Telegram-Post zusammen:
„Souveränität wurde endgültig zum Hauptziel von Putins Macht erklärt. Alles andere ist Beiwerk. Denkt man darüber kurz nach, erweist sich das Ziel als völlig sinnlos. Denn in Wirklichkeit verwandelt sich die Abhängigkeit vom Westen in eine Abhängigkeit von China. Auf die Frage nach der Beendigung des Krieges in der Ukraine gab es keine Antwort - wieder nur abstrakte Worte über Entnazifizierung und Entmilitarisierung. Die Frage nach einer Rückkehr der eingezogenen Soldaten wurde nicht angesprochen.“
Das Leben in Parallelwelten
Per SMS drang manche Botschaft durch die Propagandafassade, beobachtet Tygodnik Powszechny:
„Zusätzlich zu den Fragen, die von Journalisten im Saal gestellt und von Bürgern über die Mitarbeiter eingereicht wurden, konnten Fragen auch per SMS gestellt werden. Der Inhalt dieser Fragen wurde auf einem großen Bildschirm im Studio angezeigt. Einige waren aus Sicht der Organisatoren kontrovers und wurden nicht laut vorgelesen. Die Fernsehzuschauer konnten sie jedoch lesen, wenn sie genau verfolgten, was auf dem Bildschirm aufleuchtete. Eine der Fragen, die an den Präsidenten gerichtet war, könnte als Quintessenz der heutigen Sendung angesehen werden: 'Warum ist Ihre Realität eine andere als unsere Wirklichkeit?'“
Illusion einer freien Debatte
Eine ausgeklügelte Inszenierung mit Wiederholungscharakter erkennt La Stampa:
„Die riesigen Bildschirme, auf denen in großen Buchstaben stand, was normalerweise nicht öffentlich gesagt werden darf, angefangen mit dem Wort 'Krieg', schufen den Schein einer freien Debatte. Ein Russland, in dem jeder sagen kann, was er will, in dem es Diskussionen und Meinungsfreiheit gibt, und das alles dank eines Präsidenten, der genau weiß, was sein Volk umtreibt. ... Dabei ist alles, einschließlich der Kritik, unter Kontrolle, in einer bis ins letzte Detail durchorganisierten Show mit einem mittlerweile klassischen Drehbuch.“