Premier Barnier: Die richtige Wahl für Frankreich?

Zwei Monate nach der französischen Parlamentswahl hat Präsident Macron den früheren EU-Kommissar und Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier zum neuen Premier ernannt. Bei der Stichwahl am 7. Juli hatte das Linksbündnis NFP die meisten Stimmen erhalten, während Barniers konservative Les Républicains mit 5,4 Prozent nur den vierten Platz belegten. Europas Presse debattiert, ob es dennoch stichhaltige Gründe für die Besetzung gibt.

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L'Opinion (FR) /

Wer den Brexit hinbekommt, kann auch das schaffen

L’Opinion traut dem neuen Premier die schwere Aufgabe zu:

„Michel Barnier hat viele dafür nötige Stärken, insbesondere ein unbestrittenes Geschick, Gegensätze zu vereinen. In einer politischen Zeit, in der Exzesse und Karikaturen Programme ersetzen, hat der Mann seine Gegner nie beleidigt. Er ist seinen Prinzipien treu, aber auch flexibel darin, sie auszudrücken. Er hat eine stabile rechte Haltung und ist gleichzeitig offen für Verhandlungen. Dass es ihm gelungen ist, den Himalaya zu erklimmen, den die Brexit-Verhandlungen darstellten, ist eine diplomatische Glanzleistung, welche ihn weithin dafür qualifiziert, die Fallen einer instabilen und rachsüchtigen Nationalversammlung zu umgehen. ... Nun steht der aus Savoyen stammende Politiker vor einem neuen 8000er. Wohl die Herausforderung seines Lebens.“

Mediapart (FR) /

Missachtung des Wählerwillens

Macron lässt den RN diktieren, schimpft die linke Mediapart:

„Der Präsident hat beschlossen, sich auf den Rassemblement National (RN) zu verlassen, um seinen künftigen Premier zu ernennen. Dabei war die Botschaft des 7. Juli klar: An dem Tag hat sich eine Mehrheit der Franzosen mobilisiert, um die extreme Rechte daran zu hindern, die Macht zu erobern. Doch zwei Monate später ist Marine Le Pen diejenige, die ihre Bedingungen stellt, um der künftigen Regierung nicht das Misstrauen auszusprechen. Emmanuel Macron ist unfähig, sich eine andere Choreografie auszudenken als den ständigen Pas de Deux mit dem RN, und hat sich schließlich von diesem führen lassen.“

La Repubblica (IT) /

Von Le Pens Gnaden

La Repubblica klagt:

„Barnier wird eine Mitte-Rechts- und Minderheitsregierung führen, die nur dank der mehr oder weniger konstruktiven Enthaltung der Fraktion von Marine Le Pen überleben kann. Nachdem sie mehrere Namen kritisiert hatte - links Bernard Cazeneuve, rechts Xavier Bertrand - gab Le Pen faktisch grünes Licht für die Ernennung von Barnier und vermied die Androhung eines sofortigen Misstrauensvotums. ... Mit ihren 126 Abgeordneten [im Originaltext: 146] ist Le Pen das Zünglein an der Waage für künftige Misstrauensanträge. Die gegen Barnier bereits von der Linken angekündigt sind.“

centrulpolitic.ro (RO) /

Er vertritt die Mehrheit

Der Politikanalyst Valentin Naumescu hält die Entscheidung auf centrulpolitic.ro für richtig:

„Die meisten Wählerstimmen (über 73 Prozent) gingen nach rechts: zur radikalen Rechten, zur moderaten Rechten und zu den Mitte-Macronisten. Nur 26,4 Prozent der Franzosen stimmten für das linke Wahlbündnis NFP, auch wenn es die meisten Mandate erzielte, weil es im zweiten Wahlgang eine Anti-RN-Allianz mit der Mitte bildete. ... Sie haben sich gegenseitig im zweiten Wahlgang unterstützt, aber das ändert nichts am tatsächlichen Bild der überwiegend rechtsgerichteten französischen politischen Szene. Wir wissen nicht, wie stabil die Barnier-Regierung sein wird. Aber Macron hat sich für die richtige Richtung entschieden.“

LB.ua (UA) /

Taktisch geschickt

LB.ua sieht eine pragmatische Entscheidung Macrons:

„Ein Vertreter der Republikaner hat die Chance, wenn nicht die Unterstützung, dann zumindest die Tolerierung durch die extremen Rechten (Barnier hat sich in den letzten Jahren hart zur Migration geäußert) und der gemäßigten Linken zu erreichen. ... Zweitens gilt Barnier als Diplomat. Die französischen Medien beschreiben ihn als sehr erfahrenen Unterhändler und Kommunikator mit ausgezeichneten Kontakten in alle politischen Lager des Landes. Außerdem hat er gute Beziehungen zu Brüssel, was für Frankreich jetzt äußerst wichtig ist. Drittens: Barnier ist alt. Das bedeutet, dass er keine Ambitionen auf das Präsidentenamt hat und dass ihn niemand als potenziellen Konkurrenten bei den Präsidentschaftswahlen 2027 ansieht.“