Türkei beantragt Brics-Mitgliedschaft
Der türkische Präsident Erdoğan hat seine Ankündigung wahrgemacht und die Aufnahme seines Landes in die Gruppe der Brics-Staaten beantragt. Das von Russland und China dominierte Bündnis aufstrebender Schwellenländer gilt als Gegengewicht zur vom Westen dominierten G7. Die Türkei wäre der erste Nato-Staat in der Brics-Gruppe. Europas Presse ordnet ein.
Befreiung von den Fesseln des Westens
Für die links-nationalistische Aydınlık ist die bevorstehende Brics-Mitgliedschaft ein historischer Wendepunkt für die Türkei:
„Er ist ein wichtiger Schritt, um sich von den Fesseln des Westens zu befreien und die Wirtschaft zu entwickeln, die sich in den letzten zehn Jahren global beschleunigt hat. Mit einer Brics-Mitgliedschaft macht die Türkei einen wichtigen Schritt in Richtung einer stärkeren Wirtschaft und einer unabhängigeren Außenpolitik. Das größte Hindernis, das diese Schritte untergraben könnte, ist derzeit die orthodoxe neoliberale Wirtschaftspolitik – die die Türkei verfolgt, obwohl sie keinen IWF-Auflagen unterliegt. Die Geschichte hat uns gezeigt, dass der IWF keinem Land der Welt etwas Gutes getan hat. Im Gegenteil, er hat diese Länder in Instabilität, Chaos und Abhängigkeit vom Westen gestürzt.“
Russland und China fragen nicht nach Menschenrechten
Einer der altgedienten Kolumnisten der Türkei, Taha Akyol, kritisiert in Karar:
„Es gibt überhaupt keinen Fortschritt bei der Rechtsreform, den Freiheiten, der Unabhängigkeit der Justiz, der Umsetzung der Entscheidungen des EGMR und des Verfassungsgerichts, wie es unsere Verfassung verlangt. All das würde die Beziehungen zum Westen verbessern und einen großen Beitrag zur Wirtschaft leisten. In der Brics-Gruppe, die unter chinesisch-russischer Führung steht, spricht niemand über Themen wie Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Die Regierung fühlt sich dabei wohl, aber wir werden in den kommenden Jahren sehen, dass die Brics-'Mitgliedschaft' falsch ist, und ich fürchte, dass der Schaden groß sein wird.“
Schrei nach Aufmerksamkeit
Diena sieht mindestens zwei Hindernisse:
„Im Gegensatz zu einem anderen Zusammenschluss nichtwestlicher Länder ist Brics nur ein informeller Länderclub. Die Formalisierung der Beziehungen und die Entwicklung gemeinsamer Kriterien (auch für die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten) wird für den Gipfel in Kasan im Oktober erwartet. … Das zweite Hindernis ist natürlich das Verhältnis der Türkei zum Westen und insbesondere Ankaras Beteiligung und wichtige Rolle in der Nato. ... Darüber hinaus ist unklar, wie Ankara mit der gleichzeitigen Beteiligung an zwei solchen Verbänden leben könnte. Es besteht kein Zweifel, dass all dies dem türkischen Präsidenten und anderen Staatsbeamten wohlbekannt ist, aber Ankara kann offensichtlich nicht darauf verzichten, zumindest einen weiteren Versuch zu unternehmen, an sich selbst zu erinnern.“
Vermittler in einer multipolaren Welt
Laut Tages-Anzeiger will Erdoğan zwischen den unterschiedlichen Machtblöcken lavieren:
„Die türkische Außenpolitik folgt einer ziemlich einfachen Doktrin. Sie lässt sich in vier Wörter fassen: Wir reden mit allen. ... Die Türkei wäre bei den Brics das erste Nato-Land. Erdoğan balanciert also zwischen den Blöcken, er steht zur Nato und zur Ukraine und pflegt gleichzeitig seine Freundschaft mit Russlands Präsident Wladimir Putin. ... Erdoğan hat verstanden, dass die Zeit der westlichen Vorherrschaft vorbei ist. Ohnehin glaubt er ..., dass der Westen die Türkei nie ganz akzeptiert hat. Er will das Land also zwischen den Blöcken ansiedeln, als Vermittler in einer multipolaren Welt.“