TV-Duell in den USA: Karten neu gemischt?
Ersten Umfragen zufolge sehen die meisten US-Bürger Kamala Harris als Siegerin des TV-Duells mit Donald Trump. Für Gesprächsstoff sorgt indes die Rolle der Moderatoren, die einige von Trumps Aussagen – etwa zu Abtreibungsgesetzen oder Straftaten durch Migranten – umgehend als Falschbehauptungen zurückwiesen. Für Europas Presse ist der Wahlkampf in eine neue Phase eingetreten.
Sie kann auch Zweikampf
Kamala Harris bringt Schwung in den Wahlkampf, meint die Neue Zürcher Zeitung:
„Eine amerikanische Fernsehdebatte ist nicht ein politisches Seminar, sondern eine ruppige Kampfsportart. Es gewinnt, wer den Gegner in die Defensive drängt, ob mit Argumenten, physischen Machtdemonstrationen oder Schlagfertigkeit. ... Für die in weiten Bereichen des Landes unbekannte Politikerin war es ein wichtiger Moment. Sie konnte beweisen, dass sie fähig ist, einem gewieften Gegner wie Trump Paroli zu bieten. Nun steigt sie gestärkt in die heisse Phase des Wahlkampfs, der in allen Ecken des Landes ausgetragen wird. Bereits hat ihre Kampagnenleitung zu einem zweiten TV-Duell aufgefordert. Es wird interessant sein, ob Trump den Fehdehandschuh aufhebt. ... Die Dynamik hat sich geändert.“
Nun ist es Trump, der planlos wirkt
Večernji list resümiert die Entwicklungen der letzten Monate:
„Was Biden im Juni passierte, geschah nun Trump. Im Vergleich zu seiner Gegenkandidatin, der vitalen und konzentrierten Kamala Harris, sah Trump die ganze Zeit über frustriert, wütend und etwas verloren aus. ... Trump hat gute Gründe, sauer zu sein. Vor wenigen Wochen, als ihm der alternde Biden gegenüberstand, schien das Weiße Haus in greifbarer Nähe. Es schien, als ob ihn nichts stoppen könnte, erst recht nach dem erfolglosen Attentat, das ihm auch von denjenigen Sympathien einbrachte, die nicht zu seinen Fans zählen. ... Nun ist Trump nicht mehr in Führung, sondern derjenige, der erfolglos versucht, mit seiner Gegenkandidatin Schritt zu halten. So auch im TV-Duell.“
Was Harris will, bleibt unklar
Details zu ihren eigenen Vorhaben hat Harris vermissen lassen, moniert der Washington-Korrespondent des Spiegel, René Pfister:
„Man mag einwenden, dass ein Duell mit einem Mann, der sich noch nie um Programme geschert hat, dafür nicht der richtige Ort ist. Aber die meisten Amerikaner wissen, was sie von Trump zu erwarten haben – im Guten wie im Schlechten. Harris dagegen ist für viele Wähler noch ein unbeschriebenes Blatt. 'Ich bin ganz offensichtlich nicht Joe Biden', sagte Kamala Harris am Ende der Debatte. Aber was sie anderes machen will als der Präsident, ist vollkommen unklar. ... Aber die amerikanischen Wähler haben ein Recht darauf, von Harris detaillierte Antworten zu erhalten. Die Kandidatin sollte die Neugier der Wähler als Chance begreifen – und nicht als Zumutung.“
Keine Lösungen für Gaza und Ukraine
Kolumnist Pierre Haski vermisst im Radiosender France Inter außenpolitische Klarheit:
„Zur Ukraine und zu Gaza haben weder Donald Trump noch Kamala Harris neue Aspekte gebracht. ... Donald Trump hat, ohne das geringste Detail zu liefern, erneut beteuert, dass er die beiden großen Krisen binnen 24 Stunden beilegen würde, noch bevor er ins Weiße Haus einzieht. Wie? Wohl mit der Selbstsicherheit pseudostarker Männer: Allein ihre Präsenz genügt. Das ist wenig und beunruhigend. Kamala Harris hingegen wird die Ukraine weiter unterstützen und hat eine ausgleichende Haltung gegenüber Israel ausgedrückt: Recht auf Selbstverteidigung, aber der Krieg muss aufhören und die Palästinenser haben Recht auf einen Staat. Wie wird sie erreichen, was Biden nicht gelingt? Das hat sie nicht gesagt und sie hat zweifellos keine Antwort darauf.“
Meinungen sind frei, aber Fakten sind heilig
La Vanguardia ist vor allem von den Moderatoren angetan:
„Diese Debatte wird wahrscheinlich wegen der beiden ABC-Moderatoren in Erinnerung bleiben. Sie unterbrachen Trump, um seine Lügen zu korrigieren. ... Das waren Profis, die auf die Fakten zurückgreifen konnten. ... Trump sagte mehr als zwei Dutzend Unwahrheiten. ... Kamala Harris war manchmal zweideutig oder unklar, aber sie log nicht. ... Die beste Verteidigung des Journalismus besteht darin, zu erklären, was passiert, ohne dabei die Fakten zu verbiegen. Wer diesen vielgeschmähten Beruf erhalten will, muss Lügen mit Argumenten und Beweisen entkräften und anprangern. Meinungen sind frei, aber Fakten sind heilig.“
Klarer Punktsieg für die Demokratin
De Standaard sieht Harris als klare Siegerin:
„War Harris vielen Amerikanern zuvor noch relativ unbekannt, ist sie das nach dieser Debatte nicht mehr. Die Chance ist groß, dass zweifelnde Wähler schätzen werden, was sie sahen. ... Bereits beim ersten Thema, der wirtschaftlichen Lage des Landes, bewies Harris, dass sie besser vorbereitet war als Trump. ... Auf wirtschaftlichem und innenpolitischem Gebiet fiel vor allem Trump durch, da er immer wieder seine Anti-Immigrationsleier als Lösung für alles abspulte. ... Mit ihrem starken Auftritt bei dieser Debatte hat Harris ihre Chance auf die Präsidentschaft zweifellos erhöht.“
Gute Kandidatin, aber schwache Vizepräsidentin
Harris wirkte überzeugend, was ihre Pläne angeht, weniger allerdings hinsichtlich ihrer bisherigen Leistungen, analysiert De Telegraaf:
„Harris hielt inhaltlich gut stand. ... Vorher geäußerte Zweifel erwiesen sich als unberechtigt, auch wenn Harris wiederum keine gute Begründung hatte für die viele Kehrtwenden, die sie bei verschiedenen Themen gemacht hatte. Die Demokratin legte nachdrücklich ihre Pläne dar, darunter die Steuersenkung für mittlere Einkommensgruppen und Maßnahmen für den Wohnungsmarkt. Sie nahm dabei auch Abstand zum amtierenden Präsidenten Biden und präsentierte sich als Führerin einer 'neuen Generation'. Auf eine Frage aber hatte sie keine Antwort: Wenn ihre Pläne so wichtig sind, warum setzt sie sie als Vizepräsidentin jetzt nicht um?“
So entscheidend sind die Debatten nicht
Ein erfolgreicher TV-Auftritt garantiert noch keinen Wahlsieg, betont Iltalehti:
„Kamala Harris hat genau die Debatte bekommen, die sie wollte. … Eine andere Frage ist, ob das reicht. 2016 hat Hillary Clinton alle Debatten gegen Trump gewonnen und die Wahl verloren. Joe Biden gewann beide Debatten gegen Trump im Jahr 2020, die Wahl gewann er aber nur knapp. Außerdem erreichen die Debatten nicht unbedingt die vielleicht 10 Prozent, die noch überlegen, welchen Kandidaten sie wählen oder ob sie überhaupt wählen wollen. Abgesehen davon ist Trumps politisches Image ziemlich außergewöhnlich. Selbst wenn er anderthalb Stunden lang das Gilgamesch-Epos vorgelesen hätte, würde seine Zustimmungsrate wahrscheinlich bei den seit einem Monat stabilen 44 Prozent bleiben.“