Harte Bandagen im US-Wahlkampf: Alles erlaubt?

In der Endphase des Wahlkampfs vor der US-Präsidentschaftswahl hat sich der Ton weiter verschärft. Kamala Harris erklärte, dass sie Donald Trump für einen Faschisten halte. Bei einem Wahlkampfauftritt der Republikaner verglich Komiker Tony Hinchcliffe Puerto Rico mit einer "schwimmenden Insel aus Müll". Trumps Wahlkampfteam distanzierte sich später von der Äußerung. Befremdet schaut Europas Presse auf eine gespaltene Gesellschaft.

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Spotmedia (RO) /

Selbst für Trump-Wähler ein Stück zu weit

Dass sich Trumps Beraterteam vom Vergleich mit der Müllinsel öffentlich distanziert hat, ist für Spotmedia vielsagend:

„Die Stellungnahme seines Beraterteams, die es in dieser Form noch nie gegeben hatte, ist ein Anzeichen dafür, dass die rassistische Bemerkung auf Trumps Wahlkampfveranstaltung den Kurs des republikanischen Kandidaten in der letzten Woche zum Entgleisen bringen könnte. ... Die Reaktion von Trumps Wahlkampfteam deutet darauf hin, dass der Vorfall zu einem überraschenden Moment gekommen ist, mit der Gefahr, dass ein großer Teil der puertoricanischen Minderheit zu Kamala Harris wechseln könnte.“

taz, die tageszeitung (DE) /

Ihr bestes Argument bleibt ihr Konkurrent

Auch in ihrer als Schlussplädoyer angekündigten Rede hat Harris nicht mit einer eigenen ­Vision glänzen können, bedauert die taz:

„Erneut arbeitete sie sich an der Person und Agenda ihres Konkurrenten Donald Trump ab. Die Rede war symptomatisch für den gesamten kurzen Wahlkampf, den Harris nach dem Rückzug Joe Bidens überhaupt noch führen konnte. ... [E]s ist schon bedenklich, wenn eine Frau, die als erste Schwarze Präsidentschaftskandidatin durchaus Geschichte schreiben könnte, als besten Grund, sie zu wählen, angibt, dass ihr Gegner Donald Trump heißt. Da ist ganz schön was schiefgelaufen.“

Večernji list (HR) /

Tiefes Misstrauen den anderen gegenüber

Die harten Worte in der Kampagne spiegeln eine tiefgreifende Spaltung in der Gesellschaft wider, befürchtet Večernji list:

„Viele US-Minderheiten glauben, dass Trump und seine Anhänger tatsächlich Rassisten sind, die ihrerseits Minderheiten – in diesem Fall die Puertoricaner – wirklich für 'Abfall' halten. Demokraten warnen schon seit Jahren, dass Republikaner rassistische Politikmaßnahmen umsetzen werden, vor allem unter der Führung von Trump. Und die konservativen Wähler glauben, dass die demokratischen liberalen Eliten in Washington, wie Biden und Harris, die Konservativen für 'Abfall', für 'ein Häufchen Elend' und für 'dumme Rassisten' halten.“

Sydsvenskan (SE) /

Kollektiver Hass prägt die Menschen

Sydsvenskan fürchtet langfristige Probleme:

„Studien zeigen, dass der 'kollektive Hass' eine verbindende Kraft hat. Menschen, die gemeinsam hassen, fühlen sich einander zugehörig und erleben den Hass als eine Art Lebenssinn. Populisten – rechte wie linke – spielen mit den Ängsten und der Wut der Menschen, um sie für sich zu gewinnen. Je mehr hasserfüllte, aggressive Rhetorik normalisiert wird, desto weiter werden die Grenzen verschoben. Das sehen wir jetzt. ... Wie auch immer die Wahl ausgeht, wird es schwer möglich sein, dass Amerikaner in absehbarer Zukunft, über die Grenzen ihrer politischen Zugehörigkeit hinweg zusammenkommen und in etwas anderem als Hass, Angst und Wut vereint sind.“

Alexej Roschtschin (RU) /

Obama wird noch irgendetwas reißen

Dass es bis zum Schluss spannend bleibt, glaubt Sozialpsychologe Alexej Roschtschin auf Facebook:

„Schon in sechs Tagen wird in Amerika gewählt. Der Ausgang scheint laut Umfragen eindeutig zu sein – Trump führt mit Abstand. ... Was werden diejenigen nun wohl tun, die Kamalas Sieg wollen? Was denken sie sich aus? Ich glaube an Barack Obama – er ist ein kreativer Mensch. ... Was für einen Trick zaubern sie in sechs Tagen aus dem Hut? Sehr spannend! Ich denke, uns stehen die interessantesten und unvorhersehbarsten Wahlen der US-Geschichte bevor! Decken wir uns mit Popcorn ein und warten ab. Schon bemerkenswert, dass für die Übertragung aus den amerikanischen Wahllokalen keine Tickets verkauft werden. Ich würde bezahlen.“