Oberhaupt der anglikanischen Kirche tritt zurück

Justin Welby, der Erzbischof von Canterbury, hat sein Amt niedergelegt. Er war wegen seines Verhaltens rund um einen Missbrauchsskandal in der anglikanischen Kirche in die Kritik geraten. Ihm wurde vorgeworfen, als Kirchenoberhaupt den jahrzehntelangen Missbrauch von mehr als 100 Jungen und jungen Männern durch einen 2018 verstorbenen Kirchenmitarbeiter nicht öffentlich gemacht zu haben.

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The Times (GB) /

Den Balken im eigenen Auge sah er nicht

The Times geht mit Welby hart ins Gericht:

„Während er andere führende Persönlichkeiten und Institutionen wiederholt wegen fehlender ethischer Standards maßregelte, verabsäumte er es, seinen eigenen hohen Ansprüchen gerecht zu werden oder die Schwächsten unter seiner Obhut zu schützen. Es reicht nicht, Reue zu empfinden. Er musste die Verantwortung für seine und die katastrophalen Fehleinschätzungen seiner Kirche übernehmen. Indem er sich weigerte, zurückzutreten, bis er von seinen eigenen Vikaren, Bischöfen und der öffentlichen Meinung dazu gezwungen wurde, hat er die Institution weiter geschwächt und sich als Heuchler erwiesen und nicht als das moralische Gewissen der Nation.“

The Daily Telegraph (GB) /

Das kann nur der Anfang sein

Mit dem Rücktritt Welbys ist das Problem nicht aus der Welt, mahnt The Daily Telegraph:

„Welby war nicht der einzige hochrangige Geistliche, der die Opfer des schrecklichen Missbrauchstäters John Smyth im Stich gelassen hatte. Es gibt immer noch Kirchenvertreter, die in einem jüngst veröffentlichten Untersuchungsbericht angeführt werden und dennoch ihre Erlaubnis behalten, Gottesdienste zu leiten – obwohl sie noch viel mehr Schuld tragen als Welby. Und es fehlt nach wie vor an Rechenschaftspflichten bei der Art und Weise, wie die Kirche mit Beschwerden umgeht. Immer noch gibt es unzählige Opfer, denen man nicht zuhört und die man ignoriert. Wenn Welbys Rücktritt etwas bedeuten soll, dann muss er der Beginn besserer Praktiken in der gesamten Kirche sein.“

La Croix (FR) /

Später, aber angemessener Amtsverzicht

Die katholische Zeitung La Croix sieht den Rücktritt als klares Zeichen für bewiesene moralische Verantwortung:

„Man mag zu Recht sagen, dass diese Entscheidung sehr spät kommt, und vor allem, dass sie wieder einmal auf einen Bericht folgt, der lange zurückliegende Tatsachen ans Licht bringt. ... Dennoch ist der Rücktritt von Dr. Welby auch ein starkes und klares Signal an alle Leiter von Institutionen und Meinungsführer dieser Welt. Dies gilt umso mehr für religiöse Führungspersönlichkeiten, von denen die Gläubigen oftmals erwarten, dass sie ihnen helfen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Sie haben ein moralisches Amt, das mit einer Verantwortung einhergeht: die Verantwortung, Fehler zu erkennen und sich zurückzuziehen, wenn die Situation es erfordert.“