Zehn Jahre nach Anschlag auf Charlie Hebdo
Zehn Jahre nach den islamistischen Terroranschlägen auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt Hyper Cacher gedenkt man in Paris der 17 Todesopfer. Die Presse fragt sich, ob Frankreichs Gesellschaft und Politik heute noch genauso solidarisch reagieren würden wie 2015 – und wie weit bissige Satire noch toleriert wird.
Meinungsfreiheit drohen noch ganz andere Gefahren
Wer nach dem Attentat am heftigsten gegen die Terroristen wetterte, tat dies nicht wirklich um der Pressefreiheit willen, stellt De Standaard klar:
„Damals wurde die Meinungsfreiheit am lautesten von Politikern und Bewegungen verteidigt, die das Gegenteil anstreben. Sie beuten das Gefühl, kulturell bedrängt zu werden, als unerschöpfliche politische Quelle aus. Wegen dieser dauerhaften Gefahr müsse die Presse kontrolliert werden. Presse, die nicht dienstbar ist, wird ein Feind des Volkes genannt. ... So ging es in Russland, so geht es in immer mehr europäischen Ländern, so verspricht es auch Trump. ... Die Ära, in der es selbstverständlich war, die freie Presse zu verteidigen, ist definitiv vorbei.“
Weniger Toleranz gegenüber Provokationen
Frankreichs Gesellschaft ist immer weniger bereit, provokative, alberne und auch mal geschmacklose Satire auszuhalten, meint The Economist:
„Heute scheint die Solidarität der Franzosen mit dem trotzigen Geist von Charlie Hebdo – bekannt als 'Je suis Charlie' – brüchig zu sein. Diese Unterstützung war 2020 groß, nachdem der Lehrer Samuel Paty von einem Terroristen enthauptet wurde (er hatte in einer Unterrichtsstunde über freie Meinungsäußerung Mohammed-Karikaturen gezeigt). Doch 2023 sagten in einer Umfrage nur 58 Prozent der Franzosen 'Je suis Charlie', gegenüber 71 Prozent 2016. Dies könnte einen allgemeinen Trend in der westlichen Gesellschaft widerspiegeln, Beleidigungen zunehmend nicht mehr tolerieren zu können.“
Die Justiz schützt das Recht auf Humor
Fürs Witzereißen gibt es einen wirksamen Rechtsrahmen, betont Autor Sébastien Bailly in L’Humanité:
„Wir haben das Glück, ein Recht auf Humor und eine Justiz zu haben, die ihre Arbeit macht. Sie unterscheidet zwischen Spiel und Beleidigung, Karikatur und Diffamierung, Parodie und Plagiat. Mit ihren Instrumenten grenzt sie Belästiger von Spaßvögeln ab, Antisemiten von Humoristen. Sie verurteilt Erstere und schützt Letztere. Juristisch muss Humor zwei Bedingungen einhalten. Erstens den richtigen Ton: Er ist willentlich überzogen, sarkastisch und lässt den Charakter von frei Erfundenem erkennen, ohne Anspruch auf Ernsthaftigkeit. Zweitens muss die Eigenschaft als Humorist klar erkennbar und angekündigt sein. ... Gibt es Zweideutigkeit, wird der Vertrag gebrochen. Akzeptiert man diese Regeln nicht, ist die Demokratie gefährdet.“