Globale Ungleichheit groß wie nie zuvor
Ab kommendem Jahr wird ein Prozent der Menschheit mehr Vermögen besitzen als die restlichen 99 Prozent. Das ist das Ergebnis einer Studie, die die britische Hilfsorganisation Oxfam am Montag veröffentlicht hat. Wachsende Ungleichheit führt zu ernsten Konflikten auch in den Industrienationen, mahnen Kommentatoren. Sie hoffen aber, dass das Weltwirtschaftsforum in Davos ein erster Schritt zu mehr Gerechtigkeit ist.
Gerechtigkeit ist kein linkes Hirngespinst
In den westlichen Industriestaaten muss Vermögen stärker besteuert werden, fordert die linksliberale Tageszeitung De Morgen: "Doch das ist nach Auffassung der Liberalen ein völlig falscher Ansatz und nur Ausdruck einer Neid-Mentalität. Das ist doch merkwürdig. Denn ausgerechnet US-Präsident Obama, sicher kein Vertreter der extremen Linken, wird in seiner State-of-the-Union-Rede genau dafür plädieren: Eine Steuer auf Vermögensgewinne des reichsten Prozents der Gesellschaft zugunsten der Mittelklasse, die zu verschwinden droht. ... Das hat nichts mit Neid zu tun, sondern mit einer etwas gerechteren Verteilung von Reichtum und Vermögen, die zu einer lebenswerteren und sicheren Gesellschaft beitragen kann. Übrigens sieht nicht nur die Linke die zunehmende Ungleichheit als eine der großen Bedrohungen der Zukunft, sondern auch so ungefähr alle führenden Denker, Industriellen und Ökonomen, die in dieser Woche in Davos ihre Hohe Messe feiern."
Ungleichheit ist gefährlich und wächst trotzdem
Die Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums in Davos werden sich nicht für eine gerechtere Welt einsetzen, meint die linksliberale Tageszeitung Delo. Das ist bedauernswert, denn Armut radikalisiert, so das Blatt: "Das wird langsam auch denjenigen bewusst, die am Mittwoch mit Privatfliegern und Hubschraubern ins schweizerische Davos eingeflogen werden. ... Auch wenn unter ihnen bereits die Angst vor den gefährlichen Folgen der Ungleichheit zu spüren ist, ist es unwahrscheinlich, dass sie die Reichen wegen Steuervermeidung zur Verantwortung ziehen werden. Es ist auch unwahrscheinlich, dass das Kapital anstelle von Arbeit stärker besteuert wird, der Mindestlohn angehoben und öffentliche Dienstleistungen verbessert werden, was Oxfam fordert. Und das obwohl die wachsende Ungleichheit sogar in Europa bereits zu den ersten ernsten Konflikten führt."
Es ist Zeit für eine Revolution
Nur eine Revolution kann die bestehende Ungleichheit bekämpfen, meint die sozialistische Tageszeitung Duma mit Blick auf die Oxfam-Studie: "Armut und Ungleichheit sind Tabuthemen für die meisten bulgarischen Medien und Analysten und insbesondere für die Politiker. Sie reden zwar ständig von irgendwelchen 'Prioritäten', extravaganten aus dem Ausland geförderten Hilfsprojekten, doch über eine ganzheitliche Politik, die die Ungleichheit bekämpft, redet niemand. Das ist so, weil das politische System selbst Ungleichheit fördert. ... Es klingt vielleicht zynisch, aber die Reichen sind nicht schuld, dass sie auf dem Rücken der Anderen leben. Das Problem ist, dass sie nicht in der Lage sind, adäquate Mechanismen zu finden, um die Ungleichheit zu bekämpfen. Es geschieht genau das Gegenteil. Darum ist es an der Zeit für eine Revolution. Im Ernst: Die Geschichte kennt kein anderes Mittel, um einen solch großen Graben zu glätten."
Davos kann ein Anfang sein
Schwindendes Vertrauen in Politik, Medien sowie Großunternehmen und eine Welt voller Konflikte - vor so einem Hintergrund miteinander zu reden, ist Grund genug für das Treffen in Davos, analysiert die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Die Reaktionen [auf das Treffen] sind seit Jahren kalkulierbar: Außer Spesen nichts gewesen, ein Ort für Fensterreden, zur Geschäftsanbahnung, ein Zirkus der Eitelkeiten. ... Das aber ist ein zu kleiner Teil der Wahrheit. Nirgendwo sonst treffen auf so engem Raum so viele Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur aufeinander, um über den Zustand der Welt zu reden. Das ist ein Wert an sich. Man sieht sich, gibt einander die Hand. Was kann es Wertvolleres geben, gerade in einer Welt, in der sich alte Bindungen auflösen? Ein paar Tage Davos sind nicht dazu in der Lage, Maßlosigkeit und Gier von Managern oder Fehlverhalten von Politikern zu heilen. Vertrauen auf Besserung aber muss doch der Anfang von allem bleiben."