Athen feilt an Reformen
Nach seinem Besuch in Berlin will Griechenlands Premier Alexis Tsipras der Eurogruppe bis spätestens Montag ein aktualisiertes Reformkonzept vorlegen. Nun muss Tsipras seine Landsleute überzeugen, dass Reformen überfällig sind, meinen einige Kommentatoren. Andere fürchten, dass sein Einlenken im Schuldenstreit enttäuschte Wähler in die Arme rechter Parteien treibt.
Erfolge zuhause stärken Tsipras im Ausland
Tsipras braucht Erfolge im Inland, um selbstbewusster im Ausland aufzutreten, meint die liberale Wochenzeitung Proto Thema: "Entscheidend ist, wie die Regierung mit dem Schwarzgeld, den langen Listen [von Steuersündern] und den Einlagen in Milliardenhöhe im Ausland umgehen wird, sprich, wie sie Steuergerechtigkeit schaffen will. ... Wichtig ist natürlich auch, wie sie ganz praktisch den Alltag der Bürger verbessern will, etwa durch die Organisation der öffentlichen Verwaltung. ... Es kommt nun darauf an, ob die neue Regierung unter den Bedingungen der Macht tatsächlich einen moralischen Vorteil gegenüber allen vorherigen Regierungen hat. ... Je stärker sie im Inland ist, desto eher kann sie hoffen, im Ausland erfolgreich zu sein."
Premier muss Griechen Selbstkritik beibringen
Der griechische Premier hat bei seinem Besuch in Berlin gesagt, dass an der griechischen Misere "nicht nur die anderen schuld sind". Dass Tsipras seine Landsleute mit der Frage nach den eigenen Fehlern gerade jetzt konfrontiert, ist kein Zufall, schlussfolgert Journalist Niels Kadritzke auf dem Blogportal Nachdenkseiten: "Da die Regierung in allernächster Zeit einschneidende Reformen beschließen und auch umsetzen muss, die gesellschaftlich notwendig und überfällig sind, aber nicht allen Leuten gefallen werden, muss sie ein Narrativ von der 'eigenen Verantwortung' entwickeln. ... Wenn die Tsipras-Regierung die Einsicht in die Notwendigkeit dieses Reformprogramms stärken will, muss sie die Fähigkeit der Gesellschaft zur Selbstkritik stärken. ... Eine 'klare und direkte' Bestandsaufnahme der eigenen Situation und der selbstgemachten Probleme ist die Voraussetzung dafür, dass der Syriza-Regierung jener Neuanfang gelingt, den die Regierungen der alten, verbrauchten Parteien weder gewollt noch angepackt haben."
Scheitern Syrizas treibt Wähler zu den Rechten
Dass Griechenland nun doch weiter dem Sparkurs folgt, sieht die liberale Wirtschaftszeitung Les Echos als Scheitern der linken Syriza-Regierung an und fürchtet, dass die Enttäuschung darüber griechische und europäische Wähler in die Arme der Rechtsextremen treiben könnte: "Da sich die linke Türe mit dem Scheitern Griechenlands geschlossen hat, besteht die Gefahr, dass die Völker nun Lösungen auf der anderen Seite suchen: bei der extremen Rechten. Dort, wo mehr Freiheit und somit die Befreiung von den europäischen Zwängen gepriesen werden. Bei den nächsten Wahlen werden die Griechen versucht sein, die Partei Chrysi Avgi zu wählen, die für den Ausstieg aus dem Euro und die Ausweisung von Migranten ist. ... Wenn der zarte Aufschwung, der den Kontinent derzeit beflügelt, nicht anhält und die Regierungen nicht schnell effiziente Mittel finden, um das europäische Versprechen zu halten, haben ihre Feinde leichtes Spiel."