Patt in Großbritannien erwartet
Vor der Unterhauswahl in Großbritannien am Donnerstag haben Konservative und Labour fast alle Koalitionsmöglichkeiten ausgeschlossen. Dabei zeichnet sich weiterhin für keine der beiden Parteien eine klare Mehrheit ab. Dem Land steht ein beispielloses politisches Chaos bevor, fürchten Kommentatoren und prophezeien, dass Londons Rolle in der EU weiter geschwächt wird.
Briten vor politischem Chaos
Nach der Wahl erwarten die Briten turbulente Wochen, prophezeit der linksliberale Tages-Anzeiger: "Mit wenig Erfahrung im Koalieren und ohne alle Lust zum Kompromisseschließen sind die Inselparteien auf bestem Wege in ein parlamentarisches Chaos. Immer mehr grenzen sie die eigenen Bündnismöglichkeiten ein - und damit ihren Spielraum nach den Wahlen. Mittlerweile ist es schwer, zu sehen, wer mit wem überhaupt noch kann in Großbritannien. Verständlich ist, in einem gewissen Masse, die Position der beiden großen Parteien, also Labour und Konservative. Die waren es früher gewohnt, allein zu regieren. Für klare Verhältnisse sorgte in der Regel schon das Wahlsystem. Das britische Mehrheitswahlrecht lieferte starke britische Regierungen. … Behalten die Umfragen recht, muss sich Großbritannien auf eine Periode beträchtlicher Ungewissheit einstellen - egal welche Partei die Nase vorne hat."
Regierungsbildung wird kompliziertes Puzzlespiel
Die Koalitionsverhandlungen nach der Wahl könnten sich so schwierig gestalten, dass das Land gelähmt wird, fürchtet die konservative Tageszeitung La Vanguardia: "Das einzige, was nach der britischen Parlamentswahl am Donnerstag sicher scheint, ist dass keine der beiden großen Parteien - Konservative oder Labour - allein wird regieren können. ... Sollten sich die Prognosen bestätigen, wird dies ein kompliziertes Puzzlespiel. Die Verhandlungen zur Regierungsbildung werden sich so schwierig gestalten, dass gar eine Blockade der Institutionen drohen könnte. Die Zahlen sehen für die Konservativen nicht so gut aus. Selbst wenn Cameron die meisten Stimmen erhalten sollte, besteht die Möglichkeit, dass Labour eine Mehrheitskoalition gegen die Konservativen anführt, um regieren zu können."
EU muss Cameron aus Brexit-Falle helfen
Sollte David Cameron wiedergewählt werden, will er ein Referendum über die EU-Zugehörigkeit Großbritanniens abhalten lassen. Um sich aus dieser Bredouille zu befreien, wird er die Hilfe seiner europäischen Partner brauchen, analysiert die konservative Tageszeitung Le Figaro: "Bislang war David Camerons konfuse Europapolitik durch misslungenes Pokern (wie sein Widerstand gegen Jean-Claude Juncker) und gefährliche Ultimaten geprägt. Durch sein Versprechen, bis 2017 ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU zu organisieren, geht er angesichts der überwiegend euroskeptischen Wählerschaft das Risiko eines Brexits ein. ... Wenn er ein zweites Mandat erhält, müssen die Europäer ihm aus dieser Klemme helfen. Denn die EU braucht die britische Dynamik und das britische Erfolgsmodell ebenso wie das deutsche Beispiel."
London spielt weiter marginale Rolle in der EU
Ganz gleich wie die Parlamentswahl ausgeht, Großbritannien wird weiterhin bestenfalls eine Nebenrolle in der EU spielen, analysiert die konservative Tageszeitung Financial Times: "Man muss sich bloß vergegenwärtigen, wer in Minsk mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über einen Waffenstillstand in der Ukraine verhandelt hat und wer nicht. Die zentralen Akteure der EU-Außenpolitik sind Deutschland und Frankreich. Großbritannien ist natürlich formell weiter EU-Mitglied mit speziellen Interessen, etwa die Regulierung der Finanzmärkte betreffend. Doch Großbritannien hat sich entschieden, die meisten Vorgänge in der EU aus dem Abseits zu verfolgen. Natürlich gibt es unter den britischen Parteien inhaltliche Differenzen in der EU-Politik. Doch die wahre Trennung ist nicht die zwischen Labour und Tories. Es ist die zwischen Großbritannien und Europa."