Polen: Wackelt die Ukraine-Unterstützung?

Am 9. Januar erklärte Karol Nawrocki, Kandidat der rechtskonservativen PiS bei der polnischen Präsidentschaftswahl im Mai, dass er die Ukraine nicht als EU- und Nato-Kandidatin sehe, solange sie nicht "wichtige zivilisatorische Fragen" aufarbeite. Gemeint sind die Wolhynien-Massaker von 1943, bei denen ukrainische Nationalisten Gräueltaten an polnischen Zivilisten verübten. Bisher befürwortete die PiS schnelle ukrainische Beitritte.

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Gazeta Wyborcza (PL) /

Falsches Thema zur falschen Zeit

Bei Gazeta Wyborcza stoßen die Äußerungen des PiS-Präsidentschaftskandidaten auf Missfallen:

„Die Instrumentalisierung der Toten für politische Spiele ist ein Tanz auf Gräbern und eine Konstante in der PiS-Politik. Außerdem verstößt Karol Nawrocki gegen polnische Interessen, indem er fordert, der Ukraine die Tür zur Nato zu verschließen. Er sollte seine Worte so schnell wie möglich zurücknehmen. Die Ukraine hat ihren Platz in der EU und der Nato. Wir werden über unsere tragische Vergangenheit sprechen, wenn die Ukraine Russland besiegt hat.“

Newsweek Polska (PL) /

Noch ist der Durchbruch nicht da

Am Freitag gab Premier Tusk eine Vereinbarung mit der Ukraine über baldige Exhumierungen von Wolhynien-Opfern bekannt. Newsweek Polska bleibt skeptisch:

„Donald Tusk und [der Präsidentschaftskandidat seines Lagers] Rafał Trzaskowski hätten sicher nicht so scharf auf Nawrockis Aussage reagiert, wenn sie nicht bereits gewusst hätten, dass sie kurz darauf die Wiederaufnahme der Exhumierungen würden bekanntgeben können. ... Bei diesem Durchbruch handelt es sich vorerst um eine Erklärung, nicht um eine Tatsache. Wenn im Frühling – also während des Präsidentschaftswahlkampfes – die Exhumierungen nach jahrelanger Unterbrechung wieder aufgenommen werden können, wird sich zeigen, ob die Regierung Tusk einen echten Erfolg erzielt oder Naivität an den Tag gelegt hat. Alle sollten sie in dieser Angelegenheit unterstützen oder zumindest die Daumen drücken, dass die Exhumierungsfrage geklärt wird.“

Interia (PL) /

Längst nicht mehr so klar an Kyjiws Seite

Bei Interia schreibt der Journalist Piotr Zaremba:

„Offensichtlich haben beide Seiten des polarisierenden Streits in Polen die Nase voll von der ukrainischen Sturheit in der Wolhynien-Frage. ... Tusk spielt nun seinen Trumpf gegen den konkurrierenden Präsidentschaftskandidaten aus, in der Hoffnung, diejenigen Polen abzuschrecken, die die Ukraine immer noch zuallererst als Opfer der russischen Aggression sehen. Und die glauben, dass jeglicher Druck auf die Ukraine Russland zum Vorteil gereicht. Solche Polen gibt es zweifellos. Bis zu einem gewissen Grad bin ich einer von ihnen. Zugleich muss man feststellen, dass wir einen weiten Weg zurückgelegt haben, von einer emotionalen Anteilnahme auf Kyjiws Seite zu einer starken Abkühlung bei der einfachen polnischen Bevölkerung. Das ist die Realität, man braucht sich nur die sozialen Medien anzuschauen.“