Nach Meta-Entscheidung: Abschied von den Fakten?

Vergangene Woche hatte Meta-Chef Mark Zuckerberg angekündigt, Inhalte auf Facebook, Instagram und Threads künftig nicht mehr von Factchecking-Teams überprüfen zu lassen. Stattdessen wolle man wie Elon Musks X auf Nutzeranmerkungen als Korrektiv setzen. Die Änderung gilt vorerst für die USA. Europas Presse sieht darin das Zeichen einer globalen Entwicklung und diskutiert geeignete Antworten.

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Le Temps (CH) /

Eine Chance für die klassischen Medien

Jetzt kann sich der Journalismus beweisen, schreibt Le Temps und hofft auf die Unterstützung der Politik:

„Nachdem sich einige Redaktionen [in jüngerer Vergangenheit] für die Nutzung generativer KI oder Sen­sa­ti­o­na­lis­mus entschieden haben, bietet die aktuelle Lage umgekehrt die Möglichkeit, sich genau davon abzugrenzen. … Wenn Informationen insgesamt an Qualität verlieren, haben die Medien mehr denn je die Chance, sich als Leuchttürme der Verlässlichkeit zu positionieren, die ihrem Publikum hochwertige Inhalte bieten und Debatten ermöglichen, die auf journalistischer Ethik basieren. Genau darin liegt ihr Mehrwert. Es ist wichtig, dass unsere politischen Stellen diesen Mehrwert anerkennen und sich dafür einsetzen, dass ein Sektor, den unsere Demokratien mehr denn je brauchen, nicht auf der Strecke bleibt.“

Hotnews (RO) /

Factchecking ist vergebliche Liebesmüh

Wozu überhaupt noch Fakten prüfen, fragt Hotnews provokativ:

„Zuckerberg hat gesagt, er werde mit Trump zusammenarbeiten, was für jemanden von der Presse unvorstellbar ist. Eine Redaktion kann nicht mit dem Präsidenten zusammenarbeiten, ein soziales Netzwerk schon. Es ist unklar, was von nun an in den sozialen Medien passieren wird. Aber man kann nicht umhin, sich zu fragen, ob die Idee des Faktenprüfen jetzt einfach zu Ende ist. Oder genauer gesagt, dass jener Moment der Geschichte gekommen ist, in dem wir erkennen, dass unsere Fakten und Zahlen eigentlich niemanden mehr interessieren. Warum sollte man Menschen für die Überprüfung von Fakten bezahlen, wenn ohnehin jeder in seiner eigenen Realität lebt?“

Times of Malta (MT) /

Freie Bahn für Fake News

Behauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen ist heute wichtiger denn je, hält Times of Malta dagegen:

„Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie nützlich eine unabhängige Faktenprüfung auf Facebook ist. Faktenprüfer haben dazu beigetragen, viele schädliche Falschinformationen über das Virus und die Wirksamkeit von Impfstoffen zu stoppen. ... Nun werden ihre Bemühungen beeinträchtigt, Akteuren entgegenzuwirken, die Faktenchecks ihrerseits als Waffe einsetzen. Wladimir Putin kündigte kürzlich die Einrichtung eines staatlichen Faktenprüfungsnetzwerks an, das sich auf 'russische Werte' stützt, in krassem Gegensatz zu den Prinzipien des International Fact-Checking Network. ... Das macht eine unabhängige Faktenprüfung durch Dritte umso nötiger. Aber Meta sieht das offensichtlich anders.“

El País (ES) /

Schluss mit der Anonymität im Netz!

El País nennt die Zauberformel gegen Hass im Internet:

„Die Zahl der Anzeigen wegen Erpressung durch Sexvideos hat sich [in Spanien] zwischen 2018 und 2023 verdreifacht. ... Dahinter steckt die Verschleierung des eigenen Namens und damit ein Affront gegen die menschliche Zivilisation, die gerade auf dessen Existenz gebaut ist. Wer wären wir ohne Eigennamen? Anonymität – ein Grundpfeiler von Zuckerbergs und Musks Geschäft – fördert Verleumdung und Diffamierung. ... Wir müssen sie auf den digitalen Plattformen drastisch einschränken. ... Hoffentlich setzt sich dieser Gedanke durch: Um die Meinungsfreiheit zu schützen, müssen wir die Anonymität nicht schützen, sondern abschaffen.“

Le Figaro (FR) /

Überregulierung bremst Europa aus

Le Figaro sieht die EU in einem Teufelskreis gefangen:

„Warum ist von den führenden Tech-Unternehmen keines europäisch? … Warum wurden drei von Elon Musk gegründet? In den letzten Jahren hat die EU mit großer Genugtuung Vorschriften erstellt, ohne sich jemals die Killerfrage zu stellen: Besteht nicht ein Zusammenhang zwischen der Tatsache, dass die EU bei der Regulierung von Digital- und KI-Themen an vorderster Front steht, und der Tatsache, dass sie in diesen Bereichen ein drittklassiger Akteur ist? Die EU scheint in einem Teufelskreis gefangen zu sein. Verängstigt durch die potenzielle Nutzung dieser Technologien überreguliert sie, was ihre Entwicklung einschränkt und sie technologisch von anderen abhängig macht – was wiederum ihre Ängste und ihren Regulierungsdrang verstärkt.“

Zeit Online (DE) /

Aus Zuckerbergs Sicht nachvollziehbar

Der Meta-Chef handelt wohl einfach im Dienst seines Unternehmens, überlegt Zeit Online:

„Möglicherweise liegt Zuckerbergs Engagement ... daran, dass zwei der wichtigen Bereiche, in denen Meta agiert, auch Felder sind, in denen Musks Unternehmen unterwegs sind. Neben sozialen Netzwerken ist das vor allem die künstliche Intelligenz (KI), in die Meta Milliarden investiert hat. Ideal kann es nicht sein, wenn der Präsident zu diesen Themen immer nur auf die Konkurrenz hört. Tatsächlich dürfte es für den wirtschaftlichen Erfolg unter einer Regierung Trump durchaus entscheidend sein, wie gut man mit dem Präsidenten steht. Immer stärker drängt sich der Begriff Oligarchie auf. Insofern ist es aus Zuckerbergs Sicht sogar nachvollziehbar, sich so zu verhalten.“

La Repubblica (IT) /

Diese "Freiheit" untergräbt die Demokratie

La Repubblica sieht auch eine Konfrontation mit der EU:

„Die Art und Weise, wie Mark Zuckerberg gestern das Ende der Kontrolle der von Facebook veröffentlichten Inhalte erklärte, zeigt, dass es sich um einen epochalen Wendepunkt handelt, dessen Auswirkungen über das 'Factchecking' hinausgehen. ... Trumps Sieg zeigt für ihn den Willen der Amerikaner, 'der freien Meinungsäußerung Vorrang einzuräumen', aber der Preis dafür besteht darin, Lügen wieder Tür und Tor zu öffnen, die systematisch in Umlauf gebracht werden, um den demokratischen Prozess zu untergraben. Dann griff er Europa scharf an: Man werde 'mit Präsident Trump zusammenarbeiten, um sich gegen Regierungen auf der ganzen Welt zu wehren, die auf US-Unternehmen herumhacken und auf mehr Zensur drängen'. Wir hätten 'immer mehr Gesetze, die die Zensur institutionalisieren und Innovation immer schwieriger machen'.“

Helsingin Sanomat (FI) /

Warum gerade jetzt?

Helsingin Sanomat hält den Zeitpunkt der Umstellung für keinen Zufall:

„Natürlich ist die Freiheit, die Zuckerberg in dem Video präsentiert, eine gute Sache. Meinungsfreiheit und Pluralismus sind im Prinzip gut. Was Zuckerberg jedoch nicht sagt, ist, wie die neuen Algorithmen des Unternehmens aussehen werden. … Am problematischsten ist der Zeitpunkt, unabhängig davon, was man von den Reformen hält. Was sagt es über Amerika aus, dass sich die gesamte Linie des wichtigsten privaten Medienunternehmens des Landes zur gleichen Zeit ändert, zu der die Machthaber des Landes wechseln?“