Eurogruppe lässt Athen abblitzen
Die Euro-Finanzminister haben weitere Verhandlungen mit Griechenland über ein Hilfsprogramm vor dem Referendum abgelehnt. Zuvor hatte Athen in einem Brief an die Gläubiger fast alle Sparauflagen akzeptiert. Einige Kommentatoren drängen die Griechen, die Sparpolitik am Sonntag zum Wohle Europas zu stoppen. Andere sehen die Abstimmung als reines Ablenkungsmanöver der Athener Regierung.
Griechen können Europas Irrfahrt stoppen
Wenn die Griechen beim Referendum am Sonntag das Angebot der Gläubiger ablehnen, könnte Brüssel zu einer notwendigen Kehrtwende gezwungen sein, analysiert die Tageszeitung Le Quotidien: "Die europäische Linke hofft, dass die Griechen mit Nein stimmen. Das wäre das Zeichen, dass Sparzwang, Strenge und Verblendung, die die Geschicke der Europäer seit Jahren bestimmen, nicht mehr angezeigt sind. Wie kann man einer Troika vertrauen, die das griechische Schiff seit Jahren untergehen lässt? ... Wenn die Griechen am Sonntag Nein sagen, sagen sie nicht Nein zu Europa. Es würde bedeuten, dass sie eine bestimmte Weltsicht ablehnen, die sie in den Abgrund geführt hat. Ohne die Griechen von ihrer Verantwortung freisprechen zu wollen, wird das Nein verschlossene Türen in Brüssel öffnen. Und Europa dazu zwingen, auf neue Ideen einzugehen. Sie sind sicher notwendig, denn das heutige Modell ist am Ende."
Tsipras stiehlt sich aus der Verantwortung
Die Tsipras-Regierung will sich mit dem Referendum aus der Verantwortung stehlen, kritisiert die Tageszeitung 24 Chasa: "Alle Chancen sind vertan. Tsipras und sein Finanzminister haben keine Fürsprecher mehr in der EU. Nach all den Milliarden, die in den griechischen Haushalt gepumpt und all den Angeboten, die den Griechen gemacht wurden, wollen die EU-Finanzminister keine weiteren Spielchen mehr spielen. Die Griechenland-Krise ist jetzt einzig und allein ein Problem Griechenlands. ... Alexis Tsipras und sein Kabinett wollen ihr Scheitern den bösen Europäern, den Neoliberalen, einer Verschwörung der Geldgeber, Deutschland, dem IWF und dem Kapitalismus in die Schuhe schieben. Darum bitten sie am Sonntag die Griechen an die Urnen. Ob diese es bevorzugen werden vor den Wahllokalen Schlange zu stehen oder vor den Bankautomaten, wird sich zeigen."
Athens Schulden sind gar nicht so hoch
Auch wenn die Griechen mit Premier Alexis Tsipras an der Spitze in den vergangenen Monaten nahezu jeden Europäer auf die Palme gebracht haben, wäre es falsch, sie allein zu lassen, mahnt die liberale Tageszeitung Sme: "Es wäre unfair zu behaupten, die Griechen hätten in den letzten fünf Jahren nichts getan. Damals lebten sie auf dem Niveau Frankreichs mit einer Produktivität, die hinter der der Slowakei zurückblieb. Das ist heute nicht mehr so. ... Die astronomischen Summen, die Europa das kostete, sind nur auf den ersten Blick riesig. Es genügt ein Blick auf Ostdeutschland, auf die Summen, die die Bundesregierung dort zahlt. Überschlägt man das, dann wäre Ostdeutschland heute zehnmal so hoch verschuldet wie Griechenland. ... Auch die Griechen verdienen eine zweite Chance. Das Land ist für Europa und den ganzen Westen strategisch unermesslich wichtig. Sein wirtschaftlicher Selbstmord wäre eine Niederlage für ganz Europa."
Deutsch-französische Kluft nicht zu verbergen
Mit ihrer Absage an weitere Gespräche vor der Abstimmung am Sonntag schwenkt die Eurogruppe auf die Linie Deutschlands ein, während Frankreichs Präsident François Hollande für einen schnellen Kompromiss plädiert. Warum die Kluft zwischen Berlin und Paris tiefer wird, analysiert die konservative Tageszeitung Le Figaro: "Der Präsident will sich nicht weiter von der Linken entfremden, in der es ohnehin schon brodelt. Obwohl er versichert, dass die Wirtschaft wieder anspringt, offenbart er seine Angst vor einem wirtschaftlichen Schock. Das Ausmaß der Schulden oder die Einhaltung der europäischen Regeln waren noch nie seine Priorität. Die Kanzlerin wird von ihrem sozialdemokratischen Koalitionspartner, der von den französischen Sozialisten weit entfernt ist, zur Strenge genötigt. Ihre Wirtschaft hat nichts zu befürchten. Griechenland ist ihr weniger wichtig als die Prinzipien, ohne die der Euro 'zum Scheitern verurteilt' wäre. Der Konflikt um Griechenland bringt eine ernstzunehmende deutsch-französische Störung ans Licht."
Obama würde die Krise anders lösen
Washington hat am Montag zu weiteren Gesprächen der EU mit Athen gemahnt. Erneut zeigt sich die wachsende Kluft zwischen Europa und den USA, resümiert die liberal-konservative Tageszeitung Corriere della Sera: "Wenn der US-Präsident für eine Übereinkunft mit Athen ist, ist es die Geopolitik, die ihn lenkt. Alleingelassen, ausgeschlossen aus der Währungsgemeinschaft und vielleicht gar aus der EU, würde Griechenland in die Hände von Russlands Präsident Putin fallen. Bundeskanzlerin Merkel sieht die gleiche Gefahr, doch misst sie ihr nicht dieselbe Bedeutung zu. Und Griechenland ist nicht der einzige Punkt, an dem die Meinungen auseinandergehen. Nach den jüngsten Attentaten der Dschihadisten wurden in Europa viele Stimmen laut, die eine Abwesenheit Amerikas beklagten. Auch in der Ukrainekrise verbirgt sich hinter der scheinbaren Eintracht des Westens innerhalb von Nato und EU großer Zwiespalt. ... Die transatlantische Allianz ist nicht in der Krise. Doch bedarf sie einer Überprüfung nach den Kriterien der neuen Weltordnung."