Polen debattiert über Abtreibungen
In Polen unterstützen Regierungschefin Beata Szydło und die Bischöfe ein Bürgerbegehren zu einem generellen Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen. Am Sonntag demonstrierten tausende Menschen gegen eine Verschärfung des Abtreibungsrechts, das schon heute das restriktivste in Europa ist. Kontrovers diskutiert wird das Thema auch in der Presse.
Abtreibungen müssen bestraft werden
Die Bischöfe und manche Abtreibungsgegner sind trotz ihrer Unterstützung eines generellen Abtreibungsverbots dagegen, dass Frauen, die abgetrieben haben, dafür auch strafrechtlich belangt werden. Bogumił Łoziński vom katholische Nachrichtenmagazin Gość Niedzielny hält das für unklug:
„Die PiS verfügt zwar über die Mehrheit im Parlament. Doch ist es kein Geheimnis, dass ein Teil in der Fraktion an den bisherigen Regelungen festhalten will. Sie wird bestenfalls dafür stimmen, die Erlaubnis aus dem Gesetz zu streichen, das Kind aus genetischen Gründen abzutreiben. Das heißt, man darf es töten, wenn es nach der Geburt schwer krank sein wird. Eine Vorschrift, dass die Frau auch noch bestraft wird, wäre für diesen Teil der Fraktion der ideale Vorwand, um das gesamte Projekt abzulehnen. Doch ich appelliere an diese Abtreibungsgegner, dass sie nicht an ihrer Position festhalten, weil damit möglicherweise die Chance vertan wird, das totale Abtreibungsverbot durchzusetzen.“
Polnische PiS so autoritär wie türkische AKP
Große Ähnlichkeiten zwischen der PiS und der türkischen AKP-Regierung erkennt die liberale Internetzeitung T24:
„In Polen glaubt die Regierung wie bei uns, dass sie ihre Nichtwähler missachten, Gesetze beiseiteschieben und alles tun kann, was sie will. Sie kümmert sich weder um die Kritik aus dem Inneren noch aus dem Ausland. So versuchte die polnische Regierung, ebenso wie die AKP in den ersten Jahren, Abtreibungen zu verbieten. Doch als die Frauen auf die Straße gingen, musste sie einen Schritt zurückgehen - ebenso wie es Erdoğan tat. Solche Regierungen begreifen erst, wenn man auf die Straße geht. Doch Polen ist ein EU-Mitglied. Es kann nicht wie die AKP vollkommen mit dem Rechtsstaat brechen und zu einer Autokratie werden. In der Türkei hingegen gibt es nichts mehr, was die AKP und Erdoğan zügelt.“
Die Freiheit der Polen steht auf dem Spiel
Sollte die polnische Regierung das Abtreibungsrecht tatsächlich verschärfen, wird sie auf erbitterten Widerstand treffen, prophezeit die linksliberale Tageszeitung Népszabadság:
„Die regierende PiS will die Abtreibung strafrechtlich ahnden. Das totale Abtreibungsverbot wurde ursprünglich von den katholischen Bischöfen initiiert, die PiS will deren Vorstellungen nun durchsetzen. ... Wollen der Klerus und ihr verlängerter politischer Arm die heilige Lehre nun tatsächlich mit Gefängnisstrafen untermauern, könnte das Ergebnis für sie letztlich kontraproduktiv sein. ... Der Facebook-Eintrag einer polnischen Frau, in dem sie gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts wettert, wurde siebzehntausendmal geteilt. Die Gegner wissen, dass heute die Freiheit der Polen auf dem Spiel steht.“
Abtreibungsverbot allein reicht nicht
Die Verschärfung des Abtreibungsrechts ist grundsätzlich gut, muss aber durch Hilfen für Mütter und Familien ergänzt werden, meint die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita:
„Die Politiker müssen selbstverständlich überlegen, inwieweit der Schwangerschaftsabbruch unter Strafe gestellt wird. Der rechtspopulistische Abgeordnete Paweł Kukiz hat Recht, dass in Polen außerdem das Bewusstsein dafür gestärkt werden muss, dass die Abtreibung grundsätzlich etwas Schlechtes ist. Eine Volksinitiative fordert, dass der Staat und die Gemeinden Familien und Frauen unterstützen, die benachteiligte Kinder erziehen. Diese Vorschläge müssen umgesetzt werden. Die Hilfen müssen ganz konkret erfolgen und dürfen nicht nur theoretisch sein.“
Verbot treibt Frauen in die Illegalität
Ein Verbot von Abtreibungen ist gefährlich und ungerecht, kritisiert der Philosoph Jan Hartman auf seinem Blog beim linksliberalen Nachrichtenmagazin Polityka:
„Dass sich die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche durch härtere Strafen verringern lässt, ist schlichtweg eine Lüge. Und diese dient einzig und allein dazu, dass die Kirche ihre Weltanschauung sowie ihre Rechtsvorstellungen durchsetzt. Die Wirkung eines solchen Verbots wird vor allem sein, dass Frauen illegal abtreiben und der Abtreibungstourismus zunimmt. Frauen, die heimlich unter schlechten Bedingungen einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen, werden möglicherweise verstümmelt, und im Extremfall sterben sie sogar. ... Zudem bleibt den Ärmsten eine Abtreibung verwehrt, weil diese dann entsprechend teuer wird.“