Setzt die EU-Kommission ihre Asylpläne durch?
Die Pläne der EU-Kommission, das Asylsystem neu zu regeln, werden konkreter. Ein Gesetzesentwurf sieht die Überarbeitung der Dublin-Regeln vor. So sollen Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen, Geld zahlen, während jene, die welche aufnehmen, finanziell entlastet werden. Für einige Kommentatoren ist das der große Durchbruch, andere sind mehr als skeptisch.
EU beweist Handlungsfähigkeit
Das ist der Durchbruch, auf den alle gewartet haben, glaubt Die Welt:
„Der Kommissionsvorschlag macht es den EU-Befürwortern in Großbritannien und den EU-freundlichen Parteien in Spanien leichter, für die Vorlage aus Brüssel einzutreten. Polen, die Slowakei und Ungarn können ihrerseits ebenfalls darauf verweisen, dass es eine Zwangsansiedlung von Flüchtlingen bei ihnen nicht geben soll. ... Die EU-Kommission präsentiert eine Beschlussvorlage, von der sie glaubt, sie sei durchsetzbar. Das ist nicht nur in der aktuellen Krise ein politischer Meilenstein. Seit 1999 hat die EU das gemeinsame europäische Asylrecht angestrebt. ... Die Befürchtung, die EU könne ohne eine solche Initiative womöglich irreparablen Schaden nehmen, war in der Kommission so groß wie in etlichen EU-Mitgliedsländern. In Krisen zeigt sich dann, dass Europa handlungsfähig und kompromisswillig bleibt.“
Osteuropas Widerstand gegen Quoten ungebrochen
Der Vorstoß der EU-Kommission für ein überarbeitetes Asylrecht, mit dem sich Länder unter anderem von der Aufnahme von Flüchtlingen freikaufen können, stieß am Dienstag bei Prager Spitzenpolitikern auf Widerstand und findet auch in der Tageszeitung Lidové noviny keine Gnade:
„Die Quoten sind ein Ausdruck europäischer Solidarität, Lastenteilung und Gerechtigkeit. Aber sie haben eine Sprengkraft, so dass sie nicht nur vom nahezu kompletten politischen Spektrum nicht nur in Tschechien, der Slowakei, Polen oder Ungarn abgelehnt werden. ... Auch die vorgeschlagene Möglichkeit, sich von der Quote freizukaufen, erinnert an ein Diktat. Womöglich wäre es fairer, den Ländern die Subventionen zu kürzen und sie sich selbst zu überlassen. Oder offiziell ein Europa der zwei Geschwindigkeiten auszurufen. Sicher aber ist, dass der Widerstand gegen die Quoten keine Luftblase ist. Er spiegelt die tatsächliche Überzeugung der Mehrheit der Osteuropäer wider.“
Migranten wollen nicht nach Mittel-Osteuropa
Die Slowakei bleibt bei ihrem strikten Nein zu jeder Form einer Aufteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Staaten. Das stellte Innenminister Robert Kalinak am Mittwoch in einer ersten Reaktion auf Vorschläge der EU-Kommission klar. Auch die linke Tageszeitung Pravda hält die Pläne aus Brüssel für weltfremd:
„Jeder weiß, dass wir für eine große humane Geste weder die technischen noch die finanziellen und personellen Mittel haben. Von den 160.000 in Italien und Griechenland Gestrandeten sind gerade mal ein paar Hundert verteilt. Mit einem Skandal endete soeben ein Versuch Tschechiens, Irakern ein neues Zuhause zu bieten. Von den 89 Ankömmlingen wollten acht aus Heimweh wieder zurück. 25 weitere fuhren illegal nach Deutschland weiter, um dort Asyl zu bekommen. ... Schon jetzt ist klar, dass keine der beiden Varianten zur Verteilung aus der Sackgasse führt und beide für die Mittel-Osteuropäer inakzeptabel sind. Die Migranten wollen nun einmal nicht hierher.“
Erst einmal Dublin reformieren
Die EU-Kommission hat zwei Varianten zur Vereinheitlichung von Asylverfahren vorgeschlagen: eine Reform des Dublin-Abkommens oder ein völlig neues Verfahren auf EU-Ebene statt nationaler Asylverfahren. Ein reformiertes Dublin-Verfahren sieht die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung als die realistischere Option:
„Der einfachste Weg, die EU-Randstaaten dabei zu entlasten, wäre eine 'gerechte' Verteilung der Asylbewerber, also eine Form von Quote, wie sie die EU-Kommission abermals vorschlägt. Es ist aber mehr als fraglich, ob sich eine solche Lastenverteilung so schnell durchsetzen lässt. Viel leichter ließen sich die Maßstäbe angleichen, nach denen Asylbewerber anerkannt werden. Es ist nicht einzusehen, warum Asyl davon abhängt, wo sich jemand darum bewirbt. Das wäre ein Anfang. Auch am Ende einer Reform wird die EU-Politik aber nicht ohne hässliche Zäune auskommen.“
Asylpolitik an einem toten Punkt
Weltfremd wirken die Pläne der EU-Kommission auf die linksliberale Tageszeitung Delo:
„Die politischen Verhältnisse in der EU sind derzeit so, dass eine Realisierung der Vorschläge in weiter Ferne liegt. Zahlreiche Mitglieder wollen nicht einmal die gültigen Regeln und bereits verabschiedeten Beschlüsse respektieren. Ein gemeinsames Asylsystem besteht lediglich in der Theorie. Das berüchtigte Dublin-Abkommen wurde als Grundlage dafür bestimmt, welches Land das Gesuch von welchen Asylsuchenden bearbeiten muss. … Doch statt eines geordneten Systems entstand während der Krise eine Anarchie, in der die Verletzung der Dublin- und Schengenregeln alltägliche Praxis wurde. Brüssel will die Krisenländer mit der Umsiedlung von Flüchtlingen entlasten. Doch wie verhindert werden soll, dass in einer Union der Egoisten die Flüchtlinge am Ende nicht doch die Last einer kleineren Ländergruppe werden, hat Brüssel nicht erläutert.“
Falscher Zeitpunkt für neue Asylpläne
So gut die Pläne der EU-Kommission zur Reform der Asylpolitik auch sein mögen, der Zeitpunkt ist unglücklich gewählt, klagt die linksliberale Tageszeitung Der Standard:
„Die meisten Mitgliedsstaaten werden in absehbarer Zeit die Kontrolle über ihre Asylpolitik nicht an Brüssel abgeben. Sonst wären die bisherigen Pläne zur Aufteilung von Flüchtlingen nicht so grandios gescheitert. Und gerade in diesen Tagen steht die EU-Asylpolitik vor einer konkreten, viel wichtigeren Herausforderung: Sie muss das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei auf eine Weise umsetzen, die Grundrechte bewahrt und dennoch das bewirkt, was sich jeder in Europa wünscht - dass der illegale Schlauchboot-Exodus über die Ägäis aufhört und nicht durch noch gefährlichere Überfahrten von Libyen nach Italien ersetzt wird.“
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