Karlsruhe billigt EZB-Krisenkurs
Das Bundesverfassungsgericht hat Klagen gegen das Anleihenkaufprogramm der EZB zurückgewiesen und gleichzeitig die rechtlichen Grenzen seiner Durchführung betont. Einige Kommentatoren sehen dies als Bestätigung der Währungspolitiker und ein gutes Zeichen für Europa. Andere kritisieren die Einmischung der Richter.
Rückendeckung zum richtigen Zeitpunkt
Als klare Unterstützung des EZB-Kurses und auch noch zum richtigen Zeitpunkt - so wertet El Mundo die Entscheidung in Karlsruhe:
„Diese Bestätigung der Währungspolitik der EZB ist von grundlegender Bedeutung in einem Moment, in dem mit dem Erstarken populistischer Bewegungen der Linken und Rechten in einem großen Teil der Europäischen Union europafeindliche Bewegungen aufkommen. ... Das Bundesverfassungsgericht akzeptiert eine Geldpolitik, die bei der Überwindung der Krise in den peripheren EU-Ländern eine tragende Rolle spielte. Deswegen ist die Entscheidung eine Niederlage für die Gegner der EU in einem kritischen Moment: genau zwei Tage vor dem britischen Referendum und zu einer Zeit, in der die supranationalen Institutionen gestärkt werden müssen.“
Notenbank darf Glaubwürdigkeit nicht verlieren
Trotz der grundsätzlichen Billigung des Anleihenkaufprogramms der EZB darf dieses nicht für wirtschaftspolitische Ziele missbraucht werden, mahnt die Neue Zürcher Zeitung:
„Dass die EZB eine einheitliche Geldpolitik für die gesamte Euro-Zone verfolgen soll, darf letztlich nicht dazu führen, dass die Zentralbank auch stets eine einheitliche Wirkung der Geldpolitik in jedem Mitgliedsland gewährleisten muss. In den Euro-Ländern verfolgen die Regierungen nämlich unterschiedliche Wirtschaftspolitiken, und es gibt verschiedene Regulierungen für die Arbeits-, die Güter- und die Finanzmärkte. ... Je stärker aber Geld- und Wirtschaftspolitik ineinander übergehen, desto stärker wandelt sich letztlich das Verhältnis zwischen EZB, Euro-Ländern und EU zu einem politisch geprägten Kooperationsverhältnis. Dies birgt die Gefahr, dass der Primat der Preisstabilität von anderen Zielen zumindest überlagert wird. Das kann dazu führen, dass die Notenbank an Glaubwürdigkeit und schlimmstenfalls gar an Unabhängigkeit verliert.“
Richter bremsen Europa aus
Das deutsche Verfassungsgericht könnte einer nachhaltigen Geldpolitik schaden, fürchtet die Financial Times:
„Bisher hat sich Karlsruhe generell damit begnügt, Warnungen in Bezug auf die künftige Vorgehensweise zu verlautbaren, anstatt Maßnahmen als unvereinbar mit dem Grundgesetz für ungültig zu erklären. Doch das allein könnte schon ausreichen, um die Entwicklung einer Fiskalunion oder einer anderen Form der zentralen Steuerung zu hemmen. Doch dies wäre nötig, um die Einheitswährung langfristig funktionsfähig zu machen. ... Keiner zweifelt daran, dass das Gericht in Karlsruhe das Recht hat, darüber zu urteilen, ob EU-Regeln mit der deutschen Verfassung vereinbar sind. Aber es sollte berücksichtigen, dass es in Sachen Geldpolitik für die gesamte Eurozone Berechenbarkeit und Kontinuität braucht.“
Falscher Ort für eine Debatte über EU-Zukunft
Es ist nicht Aufgabe des deutschen Verfassungsgerichts, Europas Umgang mit der Finanzkrise zu debattieren, kritisiert die Tageszeitung Die Welt:
„Kann ein Gericht, ohne Betrachtung der möglicherweise katastrophalen volkswirtschaftlichen Schäden, juristisch fein abgewogen der EZB ein Bein stellen? Nein. Denn auch das Verfassungsgericht lebt nicht im Elfenbeinturm. Der Gerichtssaal ist nicht der geeignete Ort zur Aufarbeitung der EZB-Krisenmaßnahmen - provoziert von einer damals wie heute untätigen Politik und den Finanzmärkten. Was Europa braucht, was Europas zunehmend euroskeptische Bürger erwarten, ist ein politischer Streit über die Zukunft des Kontinents. Was will Europa sein? Was erwarten die Menschen von dieser Werte-Gemeinschaft? Unglücklicherweise wird diese Debatte nicht geführt.“