Irak-Krieg holt Tony Blair ein
Der Einmarsch britischer Truppen in den Irak 2003 war voreilig. Zu diesem Schluss kommt die Chilcot-Untersuchungskommission, die die Rolle Großbritanniens im Feldzug gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein aufgearbeitet hat. Kommentatoren kritisieren neben dem damaligen Premier Tony Blair auch andere ehemalige Staatschefs scharf und fordern Konsequenzen.
Es ging nicht um Saddam, sondern um Öl
Die Beseitigung Saddam Husseins hat die Welt nicht besser gemacht, meint die Boulevardzeitung Ilta Sanomat:
„Blair sagte, dass er noch immer der Meinung sei, dass die Welt ohne Saddam Hussein ein besserer Ort ist. Es gibt aber in der Welt der Menschen keinen Mechanismus, bei dem durch die Beseitigung eines Verbrechers alle übrigen in der Welt zu guten Menschen werden. Es besteht kein Zweifel, dass Saddam ein Verbrecher war, aber sein Sturz hat Platz gemacht für neue Verbrecher. Das Machtvakuum hat im Irak ein noch immer bestehendes Chaos geschaffen, das für Privatarmeen, die die Bevölkerung terrorisieren, günstig ist. Die Geschichte wäre sicher anders verlaufen, wenn es im Irak kein Öl gegeben hätte. Oder glaubt wirklich jemand, dass man von weit her gekommen wäre, um einen Tyrannen zu stürzen, dessen Land anstelle von Öl Wäscheklammern und Brei produziert hätte.“
Seitenhieb auch auf US-Republikaner
Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Chilcot-Untersuchungsberichts ist kein Zufall, meint die regierungstreue Tageszeitung Star:
„Auch wenn der Bericht falsche Entscheidungen in Großbritannien untersucht, kritisiert er eigentlich die Politik der US-Republikaner. ... Mit dem Zeitpunkt der Veröffentlichung zielt der Bericht zweifellos auch auf die Präsidentschaftswahl in den USA ab. Der Bericht macht aber nicht nur politisch Druck, sondern beinhaltet auch eine Drohung, wenn für die 250.000 getöteten Iraker und 179 britischen Soldaten das Gespann Blair-Bush verantwortlich gemacht wird und die Familien der 179 Soldaten eine Adresse für ihre Klagen erhalten. Ob der Internationale Strafgerichtshof den Bericht als Beweis anerkennt und seinen Blick von Afrika abwendet und auf andere Orte richtet, ist unklar.“
Ex-Premier Aznar ist ein Kriegsverbrecher
Spaniens Ex-Premier José María Aznars sollte für seine Beteiligung am Irak-Krieg verurteilt werden, fordert der ehemalige Oberstleutnant der Landstreitkräfte Luis Gonzalo Segura in Público:
„Aznar trägt die direkte Verantwortung für Millionen Toter, für die Anschläge in Madrid vom 11. März 2004 und letztlich für einen Teil der weltweit 65 Millionen Flüchtlinge. ... Aznar (und andere) sind Kriegsverbrecher und dieses Land wird solange nicht anständig sein, bis Aznar als solcher verurteilt ist, oder zumindest von den Massenmedien und der Gesellschaft stigmatisiert wird. Sein Verbrechen hat Millionen Menschen den Tod gebracht und die Zukunft von Millionen zerstört. Unser Verbrechen wäre es, ihn nun hinter Straffreiheit und Andeutungen zu verstecken.“
Einmarsch schaffte Grundlage für heutigen Terror
Tony Blair sagte nach der Veröffentlichung des Berichts, dass er es nicht bereut, damals den irakischen Machthaber entfernt zu haben. Doch das spiegelt nur einen Teil der Realität, kritisiert Sydsvenskan:
„Richtig ist, dass die Welt ohne den Diktator und Tyrann Saddam Hussein besser dran ist. Aber das enthebt Blair nicht der Kritik. Der Chilcot-Bericht sagt klar, dass der Premier Geheimdienstinformationen 'mit einer Sicherheit präsentierte, die keine Grundlage hatte'. ... Die Ursachen eines großen Teils der Flüchtlingsströme unserer Tage und des globalen Terrors können in den Kriegen in Afghanistan und im Irak gefunden werden. Sicher wussten das weder US-Präsident George W. Bush noch Tony Blair, als sie sich für die Offensive entschieden. Aber Staats- und Regierungschefs können gar nicht vorsichtig genug mit Informationen umgehen, die Grundlage für entscheidende militärische Beschlüsse sein sollen.“
Eine verantwortungslose Entscheidung
Auch La Repubblica bezweifelt die Aussage Tony Blairs, damals im "besten Interesse des Landes" gehandelt zu haben:
„Wie der Chilcot-Bericht hervorhebt, wurden die Folgen des Kriegs nicht adäquat abgewogen. An diesem Punkt ist nicht klar, weder im Fall von Busch noch von Blair, ob böswilliger Glaube oder der Mangel an politischer Weitsicht überwogen. Vermutlich eine Kombination aus beidem. Sicher ist, dass mit einem Minimum an Verantwortungsbewusstsein, sowohl politischem als auch moralischem, sie von der unheilvollen Entscheidung hätten absehen müssen. Wir sollten nicht vergessen, dass in jener Phase in Washington wie auch in London hingegen eine geringschätzige Haltung dem gegenüber vorherrschte, was US-Verteidigungsminister Rumsfeld damals das 'alte Europa' nannte, nämlich Deutschland und Frankreich, die sich wiederwillig zeigten, dem Plan des Angriffs Folge zu leisten.“
Inkompetenz der regierenden Eliten
Der Chilcot-Bericht über die Invasion im Irak beweist die Unfähigkeit der regierenden Eliten, urteilt De Volkskrant:
„Bei der Vorbereitung des Kriegs folgte Blair blind den Informationen der Geheimdienste. Es gab Chilcot zufolge kaum Diskussionen im Kabinett. Es war eine Mission von Blair und seiner Clique. ... Der Irak-Krieg beendete die Hoffnung, die Blairs New-Labour-Revolution sechs Jahre zuvor geweckt hatte. Das Debakel sorgte für Misstrauen gegenüber der etablierten Ordnung - ein Gefühl, das sich auch heute im Ergebnis des EU-Referendums widerspiegelt. Deutlich wird auch die Unfähigkeit, einen Plan für den 'befreiten' Irak zu machen. Aber vor allem ist der Chilcot-Bericht ein neuer Beweis für die Inkompetenz der regierenden Elite. Der einzige Plan von Blair bestand offenbar in seinem Versprechen an Bush: 'I will be with you, whatever.' Diese sechs Worte sagen mehr als die 2,6 Millionen anderen [in dem Bericht].“
Keine Angst vor Militäreinsätzen
Der Chilcot-Bericht darf nicht noch mehr falsche Scheu vor militärischen Interventionen hervorrufen, mahnt der Journalist David Aaronovitch in der Times:
„Nichtstun, getarnt als die von Chilcot befürwortete Vorsichtigkeit, wird uns nicht retten, denn die Welt wird nicht verschwinden. Sie kommt in überfüllten Booten oder Flughafenbomben zu uns. ... Wie Chilcot beweist, ist eine Intervention in unserer überhaupt nicht perfekten Welt riskant, kompromittierend und tötet viele junge Soldaten. Das ist ein Grund, weshalb die westliche Politik auf Drohnen und Spezialeinheiten setzt. ... Vielleicht ist das alles, was wir derzeit tun können. Im Rückblick wünschte ich, wir wären nicht im Irak gewesen. Nicht nur, weil ich zimperlich bin, was die Folgen angeht, sondern auch, weil wir dann nicht unseren Appetit auf Interventionen verloren hätten, als wir ihn am meisten brauchten - um Syriens Abstieg in die Hölle und seine Entwicklung zur wirklichen Katastrophe unserer Epoche aufzuhalten.“
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