Lässt Italien seinen Süden verkommen?
Eine Zugkollision auf einer eingleisigen Strecke in Süditalien kostet mindestens 23 Menschen das Leben und lässt Vorwürfe laut werden: Der geplante Ausbau der Bahnlinie soll verzögert worden sein und es fehlte ein automatisches Kontrollsystem. Ist der Staat Schuld an der Rückständigkeit des Mezzogiorno? Italienische Kommentatoren sind uneins.
Rom hat den Mezzogiorno im Stich gelassen
Bestseller-Autor Roberto Saviano macht in La Repubblica den Staat für das Unglück verantwortlich:
„Die Tragödie erzählt von versäumten Investitionen, von mangelnder Sicht und Perspektive sowohl dieser wie auch der vorherigen Regierungen. Im Süden investiert man nicht in das Transportwesen, denn politisch bringt das keine Vorteile. Schließlich ist mit direktem Stimmenzuwachs in einer Region mit einer so hohen Jugendabwanderung kaum zu rechnen. ... Man hat entschieden, auf den Norden zu setzen, wo eine Unternehmensstruktur vorhanden ist - wenngleich auch dort vieles im Argen liegt. Der Süden muss sich mit Effekt haschenden Pressemitteilungen zufrieden geben, mit ein paar Worten zu kriminellen Organisationen. Ein Übel, das es zu bezwingen gilt, sicher, aber über das man nicht zu viel reden sollte, um bloß kein Klima des Misstrauens zu schaffen. So wird der Süden abgespeist.“
Süditalien muss Rückständigkeit selbst bekämpfen
Allein die Regierung in Rom zum Sündenbock zu machen, ist hingegen für Avvenire zu einfach:
„Wehe, wenn die Südländer und mit ihnen ihre Politiker die Schuld auf andere abwälzen. ... Die Tragödie in Apulien muss für uns alle ein Weckruf sein. Wir dürfen es nicht dabei belassen, unsere Toten zu beweinen. Als [1993] die außerordentlichen Fördermaßnahmen für den Mezzogiorno per Dekret abgeschafft wurden, haben viele, auch die Süditaliener, dies als Zeichen der wahren Staatseinheit gutgeheißen. Viele Jahre später gibt es wenig zu feiern. Der Süden ist stehen geblieben, gelähmt in der eigenen Verantwortung und der eigenen Rückständigkeit. Sie erstreckt sich von der Schule zur Universität, von der Bahn zum Straßennetz, von der Wasserversorgung zur Breitbandvernetzung. Es ist unsere Pflicht, die Stimme zu erheben und zu reagieren.“