Spitzt sich der Ukraine-Konflikt wieder zu?
Der deutsche Außenminister Steinmeier und sein russischer Amtskollege Lawrow beraten am heutigen Montag über die neuen Spannungen zwischen Moskau und Kiew. Russland wirft der Ukraine Sabotage auf der Krim vor, Kiew wiederum beschuldigt Moskau, dort Truppen mobilzumachen. Putin will vor der US-Wahl Fakten schaffen, fürchten einige Kommentatoren. Andere glauben, dass er sich lediglich diplomatischen Spielraum verschaffen möchte.
Steinmeier darf sich nicht einlullen lassen
Der Westen scheint sich von Putin regelmäßig überrumpeln zu lassen, beobachtet Politiken:
.„Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der in Berlin zur Gazprom-Fraktion der Weicheier gehört, trifft heute seinen russischen Kollegen Sergej Lawrow. Man kann nur hoffen, dass Steinmeier sich nicht über den Tisch ziehen lässt und dem Kreml nichts verspricht. Putins Abenteuer dürfen nicht belohnt werden. Wie der bulgarische Politikwissenschaftler Ivan Krastew angemerkt hat, sind wir im Westen von Putin fasziniert. Das jedoch nicht, weil dieser Recht hätte oder der Stärkere sei, sondern weil er die Initiative ergreift, während der Führung des Westens nicht mehr gelingt, als Treffen einzuberufen. Putin ist voller Initiativen und impulsiv. Darauf muss sich der Westen psychologisch, diplomatisch, wirtschaftlich und militärisch vorbereiten. Putin muss mit schnellen und deutlichen Antworten begegnet werden“
Putin hat US-Wahl im Blick
Am Freitag hat Putin seinen langjährigen Vertrauten Sergej Iwanow als Leiter des Präsidialamts entlassen. Er will nun offenbar seine Pläne ohne seine alten Freunde aus dem KGB umsetzen, schlussfolgert die Welt:
„Im Juli verschwanden etliche Provinzgouverneure und Chefs zentraler Staatsverwaltungen, besonders in Gebieten, die an die Ukraine oder an die Nato grenzen. Sie verschwanden teilweise unter heftigen Korruptionsvorwürfen seitens ihres früheren Freundes Putin und wurden alle durch junge Leute aus dessen Umfeld oder durch Angehörige seiner persönlichen Leibwache ersetzt. Zudem hat Putin kürzlich auch noch eine eigene Leibgarde aufgestellt. Mit anderen Worten: Wladimir Putin ist auf dem Weg zum Alleinherrscher. ... Die Zeit wird knapp, wenn Putin zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution im November 2017 Russland wieder groß machen will. Das Fenster der Gelegenheit, im Donbass Tatsachen zu schaffen, ist vielleicht nur bis zur US-Wahl Anfang November offen.“
Putins Stärke sind die Schwächen seiner Gegner
Auch Le Monde glaubt, dass Putin vor der US-Präsidentschaftswahl Tatsachen schaffen will:
„Die wahre Stärke Putins war schon immer die Schwäche seiner Gegner. Seine Versöhnung mit seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan stellt er umso offensichtlicher zur Schau, seitdem dieser nach dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli auf Distanz zu Amerikanern und Europäern geht. Ebenso hat Putin die Ohnmacht des Westens in Syrien dazu ermuntert, im September 2015 militärisch in den Konflikt einzugreifen, um die Macht Assads zu retten und sich so zu positionieren, dass es ohne ihn keine Lösung des Kriegs geben kann. Der russische Präsident ist überzeugt, dass er nunmehr die Trümpfe in der Hand hat. Und er hat es mit Blick auf einen wahrscheinlichen Sieg von Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton - die voraussichtlich weniger entgegenkommend als ihr Vorgänger sein dürfte - eilig. So hat er entschieden, das Duell mit Kiew wieder aufzunehmen. Auf die Gefahr hin, erneut alles zu verlieren.“
Moskau will Kiew zum Sündenbock machen
Eine erneute militärische Eskalation in der Ukraine ist unwahrscheinlich, meint hingegen die Tageszeitung De Volkskrant:
„Ob Putin tatsächlich plant, den Krieg wieder aufzunehmen, ist sehr fraglich. Für eine neue Invasion müsste Russland einen hohen diplomatischen Preis zahlen - und es hat seine Ziele dort bereits erreicht. Die Krim ist fest in russischer Hand, und die Rebellengebiete sind eine dauerhafte Quelle der Instabilität für die Ukraine. Es sieht vielmehr danach aus, als wollte Moskau die Ukraine als den Akteur darstellen, der den Krieg will und einer Lösung im Osten des Landes im Weg steht. ... Man muss hoffen, dass die westlichen Länder sich nicht von den russischen Anschuldigungen in die Irre führen lassen und die Sanktionen gegen Moskau nicht aufheben. … Ein Nachgeben gegenüber Moskau würde darauf hinauslaufen, dass der Westen im Nachhinein der Annexion der Krim seinen Segen erteilt.“
Moskau lässt Ukraine nicht zur Ruhe kommen
Dass Moskau den Konflikt um die Krim erneut an den Rand einer Eskalation führt, kommt für den Deutschlandfunk wenig überraschend:
„Wie vermutet nutzt Russland den Konfliktherd, um ihn mal auf kleiner, mal auf größerer Flamme zu kochen, je nach innenpolitischer Konjunkturlage. Die Ukraine soll als frozen conflict dienen, der bei Bedarf angeheizt wird. Der ukrainische Präsident hat die Armee in höchste Kampfbereitschaft versetzt. Das Land kommt somit nicht zur Ruhe, was für Moskau Zweck der Okkupation ist. ... Moskau ging es zu keiner Zeit um die Menschen auf der Krim, ... sondern um ihre strategische Lage. Die Krim ist in erster Linie als Militärstützpunkt interessant, denn die Insel reicht weit in das Schwarze Meer hinein und verkürzt damit die Wege zur Mittelmeerregion, zum Nahen Osten.“
Eskalation als Ablenkungsmanöver
Mit der Behauptung, die ukrainische Regierung habe Terroranschläge auf der Krim geplant, lenkt Russlands Präsident Putin vom eigenen Versagen auf der Schwarzmeer-Halbinsel ab, meint der linksliberale Tages-Anzeiger:
„Weshalb setzt Putin auf verbale Eskalation und baut militärische Drohkulissen auf? Eigentlich ist Russland auf dem Weg zurück in die internationale Staatengemeinschaft. Die Isolation, die auf die Annexion der Krim Anfang 2014 folgte, schien durchbrochen. In dieser Situation kann Putin kein Interesse an einem offenen Krieg mit der Ukraine haben. Eher geht es ihm um ein Ablenkungsmanöver: Die Menschen auf der Krim haben nach der Annexion goldene Zeiten erwartet. Heute geht es ihnen jedoch noch schlechter als zuvor. Angst vor Terror und Wut auf die Ukraine, die Putin nun schürt, sollen dies kaschieren. Damit spielt Provokateur Putin ein gefährliches Spiel, zumal in der Ostukraine wegen des Konflikts zwischen Kiew und Moskau täglich Menschen sterben.“
Dialog oder Abschreckung, das ist hier die Frage
Die Nato muss klären, ob sie in den Russland-Beziehungen auf Dialog oder Abschreckung setzen will, fordert Il Sole 24 Ore:
„Aufgrund ihrer Schwäche und mangels einer klaren eigenen Linie kann die Ukraine in der Auseinandersetzung mit dem russischen Giganten nicht allein gelassen werden. … Wie der letzte Nato-Gipfel im Juli in Warschau gezeigt hat, zählt für die Polen, die Balten und einen konsistenten Teil der US-Regierung die militärische Abschreckung mehr als der Dialog, während für Franzosen, Deutsche und Italiener aus politischer Tradition und wirtschaftlichen Interessen der Dialog eindeutig vorrangig ist. Die nächsten Monate werden entscheidend sein. Es werden Monate von großer Ungewissheit sein, weil in den Vereinigten Staaten ein Regierungswechsel ansteht, begleitet von einem heftigen Wahlkampf, der die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Politik bedroht. Wird Putin davon profitieren oder die Geduld haben, auf den nächsten Gesprächspartner zu warten?“