Stolpert Trump über sexistische Äußerungen?
Nach der Veröffentlichung eines Videos, in dem sich Donald Trump frauenverachtend äußert, gehen selbst führende Republikaner auf Distanz zu ihrem Kandidaten. Im TV-Duell mit seiner demokratischen Kontrahentin Hillary Clinton entschuldigte er sich für die Äußerungen und ging zum Angriff über. Kommentatoren analysieren Trumps Chancen auf den Einzug ins Weiße Haus nach diesem erneuten Skandal.
Republikanische Niederlage mit Ansage
Die Nominierung Trumps hat die Republikaner in eine historische Krise gestürzt, analysiert L'Obs:
„Es ist so gut wie sicher, dass Amerika am 9. November auf einem Trümmerfeld erwachen wird, nämlich dem der republikanischen Partei, die tief gespalten ist: in einen harten populistischen Flügel, der dem Kurs der Tea Party und dem Trumps folgt, sowie in ein gemäßigteres Lager, das auf der Notwendigkeit, die Partei wiederaufzubauen besteht, um eine neue Chance auf einen Sieg zu erhalten. ... Eine gute Nachricht für Hillary Clinton? Nicht unbedingt. Die beiden konservativen Lager werden im Kongress versuchen, einander zu überbieten. Das Auseinanderbrechen der amerikanischen Rechten ist in der Neuzeit beispiellos. Noch kann niemand sagen, wie viel Zeit sie benötigen wird, um sich davon zu erholen (oft gelingt dies schneller, als man glaubt), doch die Niederlage wird nur diejenigen überraschen, die über die Persönlichkeit Donald Trumps hinwegsehen wollten.“
Die Angst weißer Amerikaner vor starken Frauen
Dass jemand wie Trump trotz frauenfeindlicher Kommentare bei einem großen Teil der Wähler so gut ankommt, zeigt, dass viele weiße Amerikaner ein Problem mit starken Frauen haben, analysiert The Times:
„So [wie Trump] reden nicht die übermäßig erfolgreichen männlichen Verführer im Alter zwischen 60 und 70 Jahren. So reden geile, trinkende Studenten, die noch mit keiner Frau geschlafen haben, weil sie glauben, dass man so über Frauen redet. So klingt man, wenn man Frauen schlecht machen muss, weil man glaubt, dass ihre schiere Existenz einen selbst herabsetzt. Trumps Frauenfeindlichkeit ist nicht die Ursache seines Aufstiegs, aber sie ist damit stark verflochten. Weiße männliche Minderwertigkeit und die Angst vor einem weißen männlichen Abstieg trifft es genau. Die so genannte Alternative Rechte in den USA, der ultra-libertäre, größtenteils im Internet zu findende Unterboden seiner Unterstützung, ist davon durchsetzt.“
Trump führt Kampagne gegen sich selbst
Trumps Kontrahentin Clinton könnte eigentlich die Hände in den Schoß legen, findet Upsala Nya Tidning:
„Vier Wochen vor der Wahl ist es offensichtlich, dass Clinton eine Puppe aufstellen könnte mit einem Aufnahmegerät, das einfach nur sagt 'Er ist als Präsident nicht geeignet'. Trump führt eine Kampagne gegen sich selbst, besser als irgend jemand anderes. Clinton wird natürlich nicht nur zuschauen. Sie wird versuchen, die unsicheren Wähler zu überzeugen und geht damit das Risiko ein, dass sie noch mehr an Beliebtheit verliert. Hillary Clinton ist bereits jetzt eine der unbeliebtesten Präsidentschaftskandidaten überhaupt. Dass sie trotzdem klar gewinnt, worauf die Werte in den entscheidenden Staaten Florida, Pennsylvania und Ohio hinweisen, sagt vor allem etwas über Donald Trump aus.“
Clinton konnte nicht zurückboxen
Hillary Clinton schien im zweiten TV-Duell überrascht von der Aggressivität Donald Trumps und fand keine entscheidenden Antworten, bemerkt Pravda:
„Wer erwartet hatte, dass Donald Trump den Büßer spielen würde nach der Veröffentlichung von Aufnahmen, auf denen er mit seinen sexuellen Übergriffen auf Frauen prahlt, lag falsch. Statt dessen folgte ein Angriff nach dem anderen. Clinton kam mit dieser Aggressivität nicht zurecht und hatte diesmal keine adäquaten Antworten auf die absurden und dummen Sprüche Trumps über Politik und Ökonomie. ... Die gute Nachricht für Clinton ist, dass sie nicht um Trumps Wähler buhlen muss. Trump muss dagegen neue Anhänger für seine Partei gewinnen, sonst ist die Wahl für ihn verloren. In diesem entscheidenden Punkt versagt Trump.“
Die Gefahr ist abgewendet
Für Slate ist der Wahlkampf für Trump bereits gelaufen - und das Land haarscharf an der Katastrophe vorbei geschlittert:
„Eines können und sollten wir nie vergessen: Noch vor ein paar Tagen war es durchaus vorstellbar, dass die USA die größte Gefahr, die das Land seit Jahrzehnten erlebt hat, in das verantwortungsvollste Staatsamt wählen. ... Es ist eine Banalität, festzustellen, dass die amerikanische Gesellschaft zutiefst gespalten (und krank) ist, aber es ist eben auch wahr. Es ist ebenfalls offensichtlich, dass einige der schlimmsten Fehler der Eliten auch durch Hillary Clinton verkörpert werden, und dass sie eine unter moralischen Gesichtspunkten problematische und zwangsläufig unpopuläre Regierung leiten wird. Die Konsequenzen der Kandidatur Trumps und die Langlebigkeit der Kräfte, die er entfesselt hat, sind offensichtlich.“
Trump noch lange nicht k.o.
Nach der Videoveröffentlichung schien Trump im freien Fall, doch in der TV-Debatte mit Clinton in der Nacht zum Montag könnte er das Blatt gewendet haben, analysiert Derk Jan Eppink vom konservativen Thinktank London Policy Center in De Morgen:
„Nach dem Video schienen seine Tage gezählt zu sein: Game over! Führende Republikaner verlassen ihn massenhaft. Aber gilt das auch für seine Anhänger? Trump ist nicht k.o., im Gegenteil. In der spektakulären TV-Debatte ging er zum Angriff über. ... Die Körpersprache auf dem Podium war spektakulär. Trump lief um Clinton herum, die sich regelmäßig hinsetzte. Wenn sie sprach, stand er oft direkt hinter ihr und schaute fragend oder verwundert. Clinton sprach eine College-Sprache, Trump mit kurzen Sätzen ohne viel politischen Inhalt. ... Fazit: Der Kampf schien für Trump nach dem Video gelaufen zu sein, aber er kam zurück in der Debatte und dominierte bisweilen. Es ist also erst vorbei, wenn es tatsächlich vorbei ist: am 9. November.“
Rechtspopulismus wird bleiben
Das Skandalvideo hat Trumps Wahlchancen zerstört, sein Populismus aber wird bleiben, prophezeit Der Standard und macht die Republikaner dafür verantwortlich:
„Nun haben sie einen Grund, sich von ihm zu distanzieren, und verfügen zugleich über einen Sündenbock für die kommende Niederlage. Dabei ist Trump mit seiner intoleranten, fremdenfeindlichen und jede Vernunft verachtenden Rhetorik ein Produkt des republikanischen Rechtsrucks. Und die Stimmung in der Parteibasis und einer bedeutenden Bevölkerungsschicht, die den hochstaplerischen Unternehmer so lange beflügelt hat, wird Trump und den Trumpismus überleben. Die Amerikaner, wie zuvor Österreicher, Ungarn und Franzosen, sind auf den Geschmack des Rechtspopulismus gekommen; das wird die amerikanische Politik noch schwer belasten.“
Republikaner implodieren
Mit seinem Auftritt im TV-Duell könnte Trump seiner Partei noch einen weiteren schweren Schlag versetzt haben, meint Huffington Post Italia:
„Die zweite Debatte bestätigt den Eindruck, den man nach dem ersten TV-Duell und der gesamten Präsidentschaftswahlkampagne 2016 gewann. Für die Republikanische Partei hat die Phase der Implosion begonnen, die weder der Sieg noch die Niederlage von Trump aufhalten kann. Auf der einen Seite die immer größer werdende Kluft zwischen der republikanischen Politelite und der Basis, auf der anderen Seite das Ende des Bündnisses zwischen religiösen Konservativen und der Partei. ... Vier Wochen vor der Wahl und nach dieser surrealen Woche lautet die Prognose: Trump scheint zu viele Teile der Partei und der Wählerschaft verloren zu haben, um noch siegen zu können. Doch ganz gleich, ob er das Rennen um das Weiße Haus macht oder nicht, Trump hat der Republikanischen Partei Leib und Seele geraubt.“